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Vorzeitsaga 01 - Im Zeichen des Wolfes

Vorzeitsaga 01 - Im Zeichen des Wolfes

Titel: Vorzeitsaga 01 - Im Zeichen des Wolfes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gear & Gear
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Geduldig wartete sie auf seine Reaktion, aber er war derart eingeschüchtert, daß ihm die passenden Worte nicht einfielen. Endlich stieß er hervor: »Erzähl weiter.«
    »Sicher hast du schon gesehen, daß eine nur mit einem großen Stein bewaffnete Mutter auf Großvater Eisbär losstürmt, der eines ihrer Kinder an sich gerissen hat.«
    Er nickte.
    »Warum macht sie das?«
    »Um ihr Kind zu retten.«
    Verächtlich spuckte Reiher in das Feuer. »Großes Mammut, nein.« Er zuckte zusammen. Ihr offen gezeigtes Mißfallen verstörte ihn vollends. Worauf wollte sie hinaus? Er konnte doch stets nur von seinen eigenen Gefühlen und Gedanken ausgehen. »Ich verstehe nicht.«
    »Sie macht es, um sich selbst zu retten.«
    »Aber Großvater Eisbär hat nicht sie, sondern ihr Kind in seiner Gewalt.«
    »Das Kind ist ihr Selbst«, flüsterte sie geheimnisvoll. »Manchmal berühren Menschen das Eine Leben sie fühlen sich untrennbar mit anderen Lebewesen oder Orten verbunden. Darauf gründet sich alles.
    Diese Verbindung darfst du nie abreißen lassen.« Weit breitete sie die Arme aus. Ihr hypnotischer Blick nagelte ihn fest. »Darum kommt das Karibu. Für einen winzigen Augenblick bist du in Kontakt mit dem Einen. Wenn du es nun rufst und bittest, sich zu opfern, hört es seine eigene Stimme und kommt. Durch dieses Opfer lebt es weiter.«
    »Wenn es nur das Eine Leben gibt, warum empfinden das dann nicht alle Lebewesen? Warum stehen wir nicht immer in Kontakt damit?«
    Sie wandte die Augen nicht von ihm ab. Der Gegenwart von Gebrochener Zweig, die am Feuer das Fleisch briet, schien sie sich kaum bewußt.
    »Dem steht fast immer der Verstand im Wege. Mit dem Verstand blockieren die Menschen ihre Fähigkeit zu Träumen. Sie glauben nicht daran und verschließen sich der Stimme des Einen Ganzen.
    Wenn sie in sich hineinhören, hören sie diese Stimme. Aber ein Mensch muß erst die Mauer niederreißen, die sein Verstand aufgebaut hat, bevor er frei ist zu hören. Und das gelingt nur den wenigsten. Die meisten wollen es allerdings auch gar nicht. Es ist ihnen zu mühsam. Statt dessen überhäufen sie ihren Verstand mit belanglosem Unsinn, mit Klatsch und Tratsch und Rachegedanken.«
    »Aber die Geschöpfe sind verschieden.« Abwehrend hob Wolfsträumer die Hände. »Sieh doch unsere Entwicklung an. Nur der Mensch benutzt Speere zur Jagd. Nur der Mensch wärmt sich am Feuer.«
    Reiher griff hinter sich und nahm einen der vom Alter dunkel verfärbten Schädel von der Wand. »Dies ist ein Mensch.« Sie holte einen zweiten herunter. »Und das ist ein Bär. Beide haben Zähne, beide haben die gleichen Knochen, nur verschieden geformt. Zwei Augen. Ja? Eine Nase. Ziehst du einem Bären das Fell ab, sieht er fast aus wie ein Mensch. Die Füße haben die gleichen Knochen. Abgesehen vom Pelzkleid und den verschiedenartig geformten Knochen besitzen alle Lebewesen Gemeinsamkeiten. Du hast Fingernägel. Ein Bär hat Krallen. Ein Karibu Hufe. Das ist die Grundregel. Alles ist das gleiche.«
    Gebrochener Zweig schniefte laut und unterbrach damit sofort die Spannung zwischen den beiden anderen. Sie pustete eine graue Haarsträhne aus dem runzligen Gesicht und flüsterte: »Nach den Überlieferungen unseres Volkes waren alle Geschöpfe einmal Sterne, jedes wurde aus dem gleichen Sternenstaub geformt. Sonnenvater ließ uns auf die Erde fallen und hauchte uns Leben ein. Die Menschen waren von allen Geschöpfen am ärmsten dran. Sonnenvater hatte vergessen, uns ein Fellkleid zu geben. Die Karibus überlassen uns ihr Fell, wenn wir sie essen. Ein Geschenk von einem Bruder für einen Bruder. Wir bekamen nicht den Rüssel des Mammuts, dafür aber Hände, mit denen wir die gleichen Dinge verrichten können.«
    Wolfsträumer machte ein nachdenkliches Gesicht. »Ich erinnere mich gut an diese Legenden, Großmutter.«
    Reiher stieß ihm mit dem Zeigefinger an die Schläfe. »Wirklich? Was in dir erinnert sich daran?«
    Rasch zeigte er auf seinen Bauch. »Meine Leber. Ich …« »Pah!« machte sie verächtlich und hieb mit der Faust in die Luft. »Ich weiß, das Volk glaubt daran, aber es stimmt nicht. Es ist dein Gehirn, das sich erinnert und der Traum.«
    »Wie kommst du darauf, daß es das Gehirn ist?« Reiher lehnte sich zurück und schob die Unterlippe vor. »Was geschieht, wenn ein Mensch einen schweren Schlag auf den Kopf bekommt? Er vergißt vieles. Verliert er einen Arm, vergißt er nichts. Hat er Bauchschmerzen, so verändert sich sein Denkvermögen

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