Vorzeitsaga 03 - Das Volk der Erde
sein Zelt. Die Leute schrien durcheinander, schlaftrunkene Krieger hetzten aus den Zelten, die Speere in den Händen. Hunde bellten und jaulten unter den Tritten der herbeieilenden Menschen.
»Hierher! Es ist Sonnenfedern!«
Tapferer Mann hinkte an den am Rande des Lagers stehenden Zelten vorbei zu Sonnenfederns Lagerplatz. Die vor dem Zelt des alten Seelenfliegers versammelte Menge bildete eine Gasse und ließ ihn durch. Bei seinem Eintreffen senkte sich Schweigen über die Runde. In den Augen der Menschen stand Verwirrung und Entsetzen.
Büffelschwanz kniete neben dem Körper des Seelenfliegers und hielt dessen erschlaffte Hand. Der Stammesanführer blickte kummervoll auf. »Er ist tot.
Nur das Gebell und Geknurre der Lagerhunde brach die Stille. Hoch oben in den Pappelästen begann unheilvoll ein Rabe zu krächzen. Ein Windstoß schlug Tapferer Mann wie eine Ohrfeige ins Gesicht.
Büffelschwanz blickte ihn ausdruckslos an. Tapferer Mann konzentrierte seine Aufmerksamkeit auf den alten Seelenflieger.
Sonnenfedern lag auf dem Rücken, die Arme friedlich über der Brust gekreuzt. Die Augen des alten Mannes waren geschlossen, unter seiner runzligen Haut trat, deutlich die Kontur des Schädels hervor.
»Lag er genau so da?« fragte Tapferer Mann.
Blaue Gerte, die Frau von Gelber Fels, trat aus der Menge hervor und nickte. »Ich war in der Morgendämmerung auf dem Weg zum Fluß, um Wasser zu holen. Ich kam hier vorbei und dachte, er schläft. Auf dem Rückweg trat ich näher und sah, daß er nicht atmete. Ich bekam Angst… da habe ich geschrien.«
Der Stammesanführer wischte sich die Hände an seinen Leggings aus Büffelleder ab und schüttelte den Kopf. »Er muß sich hingelegt haben und im Schlaf gestorben sein.«
»Getötet von dem grünen Licht am Himmel«, flüsterte jemand. Ein ängstliches Stimmengewirr erhob sich.
»Wartet.« Tapferer Mann bückte sich und legte eine Hand auf die Haut des alten Mannes. Kalt. Er hob das farbenprächtig mit Perlen verzierte Hemd und enthüllte Bauch und Brust. Nichts Auffallendes war zu sehen. Tapferer Mann öffnete den Mund des toten Seelenfliegers und schaute hinein. Prüfend betrachtete er das Gesicht und untersuchte den Hals. Auch die Hände sah er sich genau an.
Schließlich hob er den Kopf und blickte in die Runde. »Ich sehe nichts Ungewöhnliches an seinem Körper.«
»Woran ist er gestorben?« fragte Büffelschwanz. Tapferer Mann richtete sich stöhnend auf.
»Das grüne Licht«, flüsterte eine alte Frau. »Es war ein böser…«
Tapferer Mann zeigte drohend mit einem Finger auf sie. »Da war nichts Böses im Spiel.« Aus schmalen Augen fixierte er die Alte. »Achte auf deine Worte, Großmutter. Worte besitzen Macht. Das, was du rufst, könnte zu dir kommen.« Die getadelte Frau schlug eine Hand vor den Mund und wich entsetzt zurück.
Tapferer Mann hob eine Hand und spreizte die Finger. »Kein böser Zauber hat Sonnenfedern getötet.
Sein Weg war zu Ende, er hat für sein Volk getan, was er tun konnte. Er war ein Seelenflieger.«
Tapferer Mann sah jedem einzelnen ins Gesicht. »Wir alle spürten gestern abend die Macht. Sie erfüllte die Luft. Sonnenfedern war sich nicht im klaren darüber, was die Macht wollte; er fragte sich, warum sie mich zum Stamm der Gebrochenen Steine geschickt hat. Ich wußte, er würde die Antwort suchen. Wie sucht ein Seelenflieger? Er verläßt seinen Körper und reist zum Lager der Toten. Dort spricht er mit Großer Donnervogel, der den Weg der Sonne kennt.« Er verstummte, um seinen Worten Nachdruck zu verleihen. »Stellt ein Seelenflieger fest, daß er seinen Dienst an seinem Volk erfüllt hat, kehrt seine Seele nicht mehr zurück. Aber manchmal schickt er ein Zeichen, um das Volk zu führen !
Vielleicht schickte er das grüne Feuer, das wir am Himmel sahen. Als er noch lebte, war Sonnenfedern nicht sicher, was den Weg nach Süden betraf, aber nach seinem Tod kannte er den Weg des Lebens für den Stamm der Gebrochenen Steine!«
Büffelschwanz runzelte die Stirn und kratzte sich im Nacken. »So, glaubst du, ist das passiert? Du glaubst nicht, daß es ein böser Geist gewesen ist?«
»Seht ihn euch an.« Tapferer Mann wies auf Sonnenfedern. »Ihr alle, seht ihn euch genau an! Seht ihr irgendeine Verletzung an seinem Körper? Irgendein Anzeichen eines Kampfes? Wenn böse Geister einen Seelenflieger töten, sieht man das in seinem Gesicht, weil die Seele erst nach einem furchtbaren Geisterkampf herausgetrieben wird.
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