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Vorzeitsaga 05 - Das Volk an der Küste

Vorzeitsaga 05 - Das Volk an der Küste

Titel: Vorzeitsaga 05 - Das Volk an der Küste Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kathleen O'Neal Gear , W. Michael Gear
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sich um. Noch mehr Haarsträhnen klebten in dem Blut, und an der rechten Wand der Höhle lehnte die Haut eines Tapirkalbs. Die Haut war aufgerollt und stand an der Wand, als wartete sie auf den nächsten Menschen, der vielleicht vorbeikommen und sie als Schutz vor der Kälte benötigen würde. Die Packratten hatten sie schon angenagt. Um die Haut herum lag borstiges Haar verstreut. Warum hatten die Ratten an der Haut gefressen, aber das Blut nicht angerührt?
    Spürten sie, daß es befleckt war, daß es nach Blutschande roch?
    »Zwillinge liegen bei uns in der Familie«, murmelte Stechapfel. Mit einem merkwürdigen Feuer in der Tiefe seiner Augen blickte er Tannin an. Dann stopfte er die Nabelschnüre in seine Hemdtasche und kroch hinter Tannin aus der Höhle.
    Tannin folgte ihm an mehreren Schilfbüscheln vorbei hinunter auf den sandigen Uferstreifen.
    Fledermäuse sausten um ihre Köpfe. Tannin verschränkte die Arme vor der Brust, um den Nachtwind abzuhalten. Er sehnte sich nach dem Lagerfeuer, das, wie er wußte, oben auf dem Steilufer zu roter Glut herabgebrannt war. Wann würde Stechapfel zum Umkehren bereit sein? Was dachte er wohl gerade? Fürchtete er nun doch, daß es seine Kinder waren? Daß Eiskraut ihn angelogen hatte? Tannin schüttelte den Kopf. Eiskraut hatte nicht gelogen. Er hatte keinen Grund dazu. Warum sollte …
    Stechapfel stutzte. Ein Schrei entrang sich seiner Kehle, als er mit wehender grauer Mähne auf einen knorrigen Wacholderbaum zurannte, der sich in den Fuß des Steilufers gekrallt hatte.
    »Was ist da?« rief Tannin ihm nach. »Wo läufst du hin?«
    Weit im Westen brach der zunehmende Mond durch eine dünne Wolkenschicht, und sein Licht warf einen milchigen Schleier über das Ufer. Tannin sah, wie Stechapfel seinen Fuß auf den niedrigsten Ast des Wacholders stellte und den Baum emporkletterte, um etwas herabzuziehen. Es sah aus wie ein kleines totes Tier.
    »Stechapfel!« Tannin biß sich auf die Lippen. Fast gaben die Beine unter ihm nach, und vorsichtig setzte er sich in Bewegung. »Stechapfel, was hast du gefunden?«
    Das Mondlicht schimmerte auf Stechapfels gequältem Gesicht, als er tief durchatmete und die Luft jeweils wieder ausstieß. Die Falten um seinen Mund spannten sich. Er drückte das tote Tier an seine Brust und gab einen Klagelaut von sich. Tränen rannen über seine welken Wangen, als er das Bündel zum Flußrand trug und sich in den nassen Sand kniete.
    Tannin folgte und rief: »Stechapfel!«
    »Sie hat meinen Sohn getötet!« klagte er und wiegte sich vor und zurück. »Meinen Sohn. Meinen kleinen Jungen. Sie hat ihn ermordet!«
    Tannin hockte sich hin und sah den winzigen Körper, den Stechapfel an seine Brust preßte. Seine Knie gaben nach. Er stützte sich mit einer Hand ab und setzte sich auf den Sand. Die Leiche war verschrumpelt und braun geworden. Schlimmer war, daß die Vögel sich an sie herangemacht hatten.
    Die Augen des Jungen waren nur noch leere Höhlen. Ein Fuß war abgenagt, und es blieb nur noch ein zerfetzter Stumpf. Viele Waschbären jagten am Ufer, vielleicht hatte aber auch eine Raubkatze das Kind in den Baum geschleppt.
    Sanft legte Tannin eine Hand auf Stechapfels Schulter. »Es war nicht dein Sohn, Stechapfel. Es war Eiskrauts Sohn. Es ist besser, daß der Junge tot ist. Wenn er noch lebte …«
    Stechapfel warf den Kopf zurück, und ein schrecklicher Schrei löste sich aus seiner Kehle. Wie ein wütender Kurzschnauzenbär ließ er das Baby auf den Sand fallen, warf sich auf Tannin und schleuderte ihn rücklings in den Fluß. Das eiskalte Wasser floß über Tannins Gesicht und in seine Lungen. Bevor er hochkommen konnte, hatte Stechapfel die Finger um seinen Hals gelegt und drückte ihn nach unten.
    In Panik griff Tannin nach dem Handgelenk seines Bruders und versuchte, den Griff aufzubrechen. Er bäumte sich auf und wand sich, doch Stechapfel setzte sich rittlings auf ihn und hielt ihn, wie ein Verrückter brüllend, mit seinem ganzen Gewicht nieder.
    Tannin wollte seinen Bruder nicht verletzen, doch als Stechapfel ihm ein Knie in den Magen rammte, um die Luft, die er noch in der Lunge hatte, aus ihm herauszuzwingen, blieb ihm keine andere Wahl.
    Sich zur Seite drehend, trat er rücksichtslos um sich und konnte mehrmals sein Knie in Stechapfels Leiste stoßen. Als Stechapfel keuchte und seinen Griff lockerte, stieß Tannin ihn rücklings in den Fluß.
    Nach Atem ringend kam Tannin wieder auf die Beine. Er konnte sich drei Körperlängen vom

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