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Vorzeitsaga 05 - Das Volk an der Küste

Vorzeitsaga 05 - Das Volk an der Küste

Titel: Vorzeitsaga 05 - Das Volk an der Küste Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kathleen O'Neal Gear , W. Michael Gear
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Wasser wegschleppen, ehe er auf dem Sand zusammenbrach. Seine Kehle brannte, und seine Lungen schmerzten. So wie das sandige Wasser, das an ihm herablief, seinen Körper völlig durchweicht hatte, so war sein Herz noch vom Entsetzen des gerade Erlebten durchdrungen. Er war wie betäubt und vermochte kein Wort über die Lippen zu bringen. Seine Augen blieben auf den Bruder fixiert, der, wie ein verrückter Fisch am seichten Ufer, das Wasser zu weißem Schaum schlug.
    Das Wasser rann in Strömen von Stechapfels bocklederner Kleidung herunter, als er im Fluß taumelnd auf die Beine kam. Er machte einen gehetzten und verwirrten Eindruck, als befände er sich mitten in einem Alptraum.
    Ohne Tannin noch einmal anzusehen, ging er ans Ufer und nahm das tote Baby auf. Er drückte es an die Brust und watete durch das seichte Wasser flußaufwärts. Silbrige, nach außen fließende Ringe bildeten sich um seine Schritte. Leise und erstickt begann er zu schluchzen.
    »Heiliger Alter-Mann-Oben«, betete Tannin und legte die Arme um die Knie. Verwirrung und Furcht ließen ihn sauer aufstoßen. Das eiskalte Wasser und die schneidende Luft waren nichts um Vergleich zu dem Kältegefühl in seiner Seele. »Er ist mein Bruder. Aber ich … ich verstehe nicht, was mit ihm los ist. Es muß der Schock sein.
    Der Schmerz. Ich weiß nicht, was ich tun soll.«
    »Mann! Mann, wo bist du? Wo bist du? Ich brauche dich! Das ist schrecklich. Du weißt, daß eine meiner Seelen noch vier Tage an diesen Körper gebunden sein wird. Was wird geschehen, wenn dieser Mann meine ans Fleisch gebundene Seele beschwört?«
    Der Mann antwortete: »yah, das wäre ein großes Glück für dich.«
    »Ein Glück für mich! Wie denn das? Ich kann nur wiedergeboren werden, wenn meine beiden Seelen unversehrt sind. Das weißt du. Nun aber ist mir ein wirkliches Leben verweigert.«
    Der Mann lachte wohlwollend. »Genau wie Bienen vom Rauch vertrieben werden, so vertreibt ein leichtes Leben die Angst aus der Seele und nimmt den Menschen ihre Fähigkeit zur Güte. Bete, Junge, bete aus ganzer Kraft, daß Stechapfel versucht, deine ans Fleisch gebundene Seele zu sich zu rufen.«
    ,Aber das wird mich zerreißen. Es wird meine größte Hoffnung zerstören.«
    »Ja«, entgegnete der Mann leise. Ein schwaches Funkeln, wie glitzernder Sternenstaub, regnete durch die Schwärze. Wie schimmernde Tränen umhüllte es den Jungen.
    »Wenn das geschieht, mußt du Alter-Mann-Oben für solch eine große Gabe danken «, endete der Mann.

9. KAPITEL
    Beim Morgengrauen ging Berufkraut zwischen den Felsbrocken hoch über der Traum-Höhle hindurch.
    Der Legende zufolge hatten die Eisgeister hier einmal eine schreckliche Schlacht geschlagen. Sie hatten Felsbrocken und Blitzstrahlen gegeneinander geschleudert, bis die Hälfte ihres Stammes tot war. Die Überlebenden waren weit nach Norden geflohen, wo sie noch immer lebten. Berufkraut glaubte der Legende, als er die Felsbrocken betrachtete, die von drei Mann hohen Felsen bis zu kopfgroßen Steinen reichten. Von der Frühjahrsschmelze und den Sommerregen angeschwemmter Kies füllte die Lücken zwischen den Felsen. Die Aussicht von hier oben war überwältigend: Die fernen Gipfel des Mammutgebirges ragten, von Gletschern durchzogen, majestätisch empor und fingen die rosa-orangefarbenen Strahlen der Morgensonne in Granit und Eis ein.
    Im Westen lag Mutter Ozean. Ein weißer, tiefhängender Nebel verhüllte sie und bedeckte ihr glänzendes Gesicht wie Schnee. Nebelfetzen trieben auch durch die dichten Tannen- und Kiefernbestände, die die Wiese unten umstanden.
    Vorsichtig, wegen der glatten Reifschicht, die den Fels überzog, ging Berufkraut bis zu der Kante und schaute zur Traum-Höhle hinab. Der gähnende Abgrund ließ sein Herz klopfen. Wenn jemand hier herabfiele, würde er vor dem tödlichen Aufschlag auf dem Boden eine Menge Zeit haben, es zu bedauern. Durchscheinend und ätherisch sammelten sich goldene Wölkchen um ihn, sie waren so nah, daß es schien, als brauche er nur den Arm auszustrecken, um eine Handvoll zu greifen.
    Der Fremde war offensichtlich noch nicht aufgewacht. Zumindest war er nicht auf den Felsvorsprung vor der Höhle getreten. Für alle Fälle hielt Berufkraut seinen Atlatl fest in der Hand. Nach dem gestrigen Erlebnis war er nicht sicher, ob der Fremde nicht auch senkrecht nach oben werfen konnte.
    Balsam stand neben einer gespaltenen, halbabgestorbenen Tanne in einiger Entfernung auf einem Felsen. Er schaute in den

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