Vorzeitsaga 05 - Das Volk an der Küste
humpelte mit knirschenden Kniegelenken nach vorn und stellte sich mit häßlich verzerrtem Gesicht an Klebkrauts Seite. »Wenn es das ist, was Mammut-Oben will, warum stehen wir dann hier herum?«
»Ist es wirklich das, was Mammut-Oben will?« fragte Melisse. »Woher wissen wir das?«
Klebkraut richtete sich zu seiner ganzen Größe auf. Frauenhaar stellte sich hinter Yuccadorne und warf damit ihr Gewicht in die Schale. »Weil ich es euch gerade gesagt habe, daher. Willst du Mammut-Obens Anweisungen mißachten?«
»Niemals.« Melisse schüttelte den Kopf. »Ich bin ein frommer Mensch. Wenn Mammut-Oben sagt, daß wir dort unser Lager errichten sollen, dann tun wir das auch.«
Klebkraut zuckte mit der Hand. Seine Miene hatte einen verdrossenen und etwas unsicheren Ausdruck angenommen, und seine Augen zuckten unbehaglich hin und her. »Nun, dann laßt uns die Sache in Angriff nehmen.«
Melisse verbeugte sich so tief, daß er mit dem Kopf fast die Knie berührte. Er führte die Geste langsam und vollkommen aus und zeigte dabei so viel Verachtung, als hätte er dem Leittänzer eines rituellen Tanzes auf die Mokassins gepinkelt.
Als er sich wieder aufgerichtet hatte, nickte Melisse freundlich. »Ich denke, du hast recht, Klebkraut.
Am besten nehmen wir die Sache in Angriff. Enkel!« Melisse legte Berufkraut die Hand auf die Schulter. Berufkraut fuhr zusammen. Der Ärger und Groll in diesen alten Augen trafen ihn wie eine Faust in den Magen.
»Ja, Großvater?«
»Wir brauchen einen Kundschafter, der uns vorangeht. Auf dem Strand können wir weit sehen. Aber auf den Pfaden im tiefen Wald gibt es viele versteckt lauernde Raubtiere. Wir wollen ja nicht, daß ein Säbelzahntiger oder ein Löwe sich aus einem Baum auf uns stürzt. Und genau da oben, wo Klebkraut uns unser Lager errichten lassen will«, er wies mit dem Kinn auf die Stelle, »hatten die Kurzschnauzenbären früher immer ihre Höhlen. Ich habe seit Monden keinen Bär mehr gesehen, aber wir wollen keine Überraschungen.« Er gab Berufkraut einen Schlag auf die Schulter. »Such dir doch noch zwei junge Männer und lauf mit ihnen vor. Dann werden wir besprechen, welchen Pfad wir nehmen sollen.«
Berufkraut blickte sich um. Ein überhebliches Lächeln lag auf Klebkrauts Lippen. »Ja, Großvater«, sagte Berufkraut gehorsam. Doch als er sich umdrehte und zurücklief, um Balsam und seinen Vetter Eisklaue zu suchen, schüttelte er besorgt den Kopf. Der Otter-Klan war immer ein Meeresvolk gewesen. Sie wußten nichts darüber, wie man in den Bergen sein Leben fristet.
Beim Vorbeilaufen blickte er Klebkraut finster an, und der alte Mann kicherte verächtlich. Berufkraut biß die Zähne zusammen. Melisses Plan war ihm in etwa klar - sein Großvater wollte, daß die Leute selbst herausfanden, was für ein Narr Klebkraut war -, aber es ging ihm gegen den Strich, zusammen mit Klebkrauts Anhängern in den Strudel gerissen zu werden. Er liebte den Geschmack von Lachs und Otter. Und ein Leben ohne Seeohrschnecken konnte er sich erst recht nicht vorstellen.
Melisse sagte: »Der beste Pfad zu den Vorbergen führt am Walbarten-Dorf vorbei. Wir müssen heute abend dort Rast machen und sie wissen lassen, wohin wir gehen, damit sich niemand unseretwegen zu sorgen braucht.«
»Wir können nicht Rast machen«, sagte Klebkraut. »Mammut-Oben will uns in den Bergen sehen, so schnell unsere Beine uns tragen. Wenn wir den Pfad gefunden haben, werden wir ihm direkt folgen.
Wir rasten nicht im Walbarten-Dorf.«
Melisses Augen verengten sich, und Berufkraut blieb plötzlich mit klopfendem Herzen stehen. Doch dann lächelte Melisse und sagte: »Wie du wünschst.«
Berufkraut schüttelte den Kopf. Die Welt sah plötzlich sehr beängstigend aus.
Turmfalke stolperte und griff nach einem Tannenzweig, um nicht hinzufallen. »Heilige Geister«, flüsterte sie. Sie ließ die Zweige los und rieb sich die Augen. Dichter Nebel bedeckte den Wald, und auf den Nadeln der Bäume hatten sich schimmernde Wassertropfen gesammelt. Bei jedem Windstoß rieselte das Wasser auf sie herunter. Kälte und Müdigkeit hatten ihre Kräfte aufgezehrt. Zwei Tage lang war sie ununterbrochen gelaufen, ohne zu schlafen. Irgendwann in der letzten Nacht hatte sie den gewundenen Wildwechsel aus den Augen verloren, dem sie beim Schein der Sterne gefolgt war. Ihrem Instinkt folgend war sie weiter bergab gelaufen, denn sie wußte, daß das Meer irgendwo in dieser Richtung sein mußte, aber jetzt war sie
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