Vorzeitsaga 05 - Das Volk an der Küste
Flügel wieder um das Hörnchen, und dann waren Sauggeräusche zu hören. Sie trank das nahrhafte, rote Blut aus der Schulterwunde des Hörnchens.
»Was ist es, Melisse?« fragte Sumach.
Er drehte sich um und sah sie mit einem beunruhigten Gesichtsausdruck aufrecht in ihren Felldecken sitzen. Vom Schimmer der schwachen Glut war ihre Haut rötlich überhaucht.
»Oh, es ist nur eine blutsaugende Fledermaus. Kein Grund, sich Sorgen zu machen. Ich habe noch nie gehört, daß ein Mensch von ihnen angefallen worden wäre.«
Sumach runzelte die Stirn. »Eine blutsaugende Fledermaus? Du meinst…«
»Ja. Sie saugt jetzt das Hörnchen aus.«
Sumach erschauerte sichtbar.
Als Melisse zu seinen Decken zurückgehen wollte, nahm er aus den Augenwinkeln eine Bewegung wahr. Er reckte den Hals, um den Abhang im Westen, den sie an diesem Tag hinaufgeklettert waren, hinunterblicken zu können. Vier Männer traten aus dem Schatten des lichten Waldes heraus. Ihre dunklen Gesichter glänzten im Licht der Sterne. Er konnte ihre leisen Stimmen hören. Sie sprachen ruhig miteinander.
Melisse legte eine Hand an den Mund und rief: »Hallo! Wer seid ihr?«
Eine laute Stimme rief zurück: »Ich bin Milan vom Schwarzwassertal-Klan. Meine Brüder sind bei mir. Seid ihr der Otter-Klan?«
Melisse runzelte die Stirn. »Ja. Woher wißt ihr das?«
»Wir sind eurer Spur von eurem früheren Dorf her gefolgt. Seit Tagen versuchen wir, euch zu finden.«
Sumach tauschte einen fragenden Blick mit Melisse aus und rief: »Warum?«
Von den Rufen war das ganze Dorf erwacht. Als die Leute sich erhoben, drang beunruhigtes Geflüster durch die kalte Nachtluft. Melisse sah, wie Berufkraut nach seinem Atlatl und seinem Köcher griff, den Pfad hinunterblickte und dann seine Decken abwarf und aufstand. Andere Männer erhoben sich und gingen mit der Waffe in der Hand nach vorn, während die Frauen ihre Kinder zum Schweigen brachten. Ein paar Hunde rannten bellend und witternd den Fremden entgegen.
Berufkraut stellte sich neben Melisse. »Wer sind sie, Großvater? Kennst du sie?«
Melisse schüttelte den Kopf. »Nein, ich glaube, nicht.«
Die vier Männer erreichten die Hügelkuppe. Sie waren groß, kräftig und jung, hatten Atlatls in den Händen und Köcher über den breiten Schultern. Ihr Anführer, wahrscheinlich Milan, hatte eine stark gewölbte Stirn und eine flache Nase. Er ging direkt auf Melisse zu und ergriff fest dessen Hand. Im schwachen Schein der Glut sah Melisse das wunderschöne, rot gefärbte Lederhemd, das er unter seiner bockledernen Jacke trug.
»Du bist Melisse, nicht wahr?«
»Ja«, antwortete Melisse zögernd. »Kenne ich euch?«
Milan ließ die Hand sinken und warf einen kurzen, abschätzenden Blick auf Berufkraut. Dessen Augen verengten sich. Milan sagte: »Ich habe dich getroffen, als ich noch ein Kind war, Melisse, aber das ist schon fünfzehn Jahresumläufe her. Ich erwarte nicht, daß du dich daran erinnerst. Bitte, sprich mit uns. Wir suchen nach einer Frau.«
»Was für einer Frau?«
»Ihr Name ist Turmfalke.« Milans Brüder hockten sich mit grimmigen Mienen im Kreis nieder. »Sie hat unseren Bruder ermordet.«
Aus der Dunkelheit hörte man Klebkrauts unangenehme Stimme. »Was ist los? Was geht hier vor?
Warum hat mich keiner geweckt?«
Melisse blickte zu ihm hinüber und sah, wie er verärgert seine Mokassins anzog. Als er seinen Hirschledermantel überwarf, schrie er: »Yuccadorne! Schwindlige Robbe! Wo seid ihr? Warum hat mir niemand Bescheid gesagt, daß Besucher gekommen sind?«
Milans Augen verengten sich forschend, und Melisse legte ihm freundlich eine Hand auf die Schulter.
»Turmfalke … ja. Ich habe diesen Namen schon einmal gehört. Kommt, setzt euch! Ich werde Holz aufs Feuer legen, und dann können wir uns unterhalten.«
Das Sternenvolk schrie besorgt und entsetzt durch die Dunkelheit, weil Mutter Ozean und Alter-Mann-Oben die Kontrolle über die Situation auf der Welt unten verloren zu haben schienen. »Warum bist du nicht schon da unten, Junge?« schrie eine alte Frau. »Setz dich in Bewegung! Ich dachte, du wolltest ein großer Träumer sein, damit du ihr helfen kannst.«
Der Junge schloß beschämt die Augen. ,Ich bin noch nicht gerufen worden. Der Mann sagt jedoch, daß es bald geschehen wird, sehr bald.«
Die Stimmen des Sternenvolkes verebbten zu einem unfreundlichen Flüstern, doch konnte er Bruchstücke ihrer Unterhaltung aufschnappen.
»… er hat Angst. Er wird niemals in der Lage
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