Vorzeitsaga 05 - Das Volk an der Küste
ein Flüstern. Sonnenjäger schaute in seine Holztasse. Die Muscheln waren eiskalt geworden.
Turmfalke trug den Sandkrautbrei auf Helfers kahle Stellen auf. Der Hund hatte die Schnauze auf ihr Knie gelegt. Mit großer Vorsicht rieb sie das Sandkraut sanft in seine Ohren ein. Der Hund blickte mit einer Mischung aus Erleichterung und Anbetung zu ihr auf. Als sie Sonnenjägers Blick bemerkte, lächelte sie schwach und sagte: »Bist du zurück?«
»Ja. Entschuldigung. Das wollte ich nicht.« Er klapperte mit den kalten Muscheln in seiner Tasse. Im Schein des Feuers sahen die Felsgesichter so aus, als würden sie leben. Die eingesunkenen Wangen, die Nasenlöcher und die Kehlgrube waren mit Schatten gefüllt. Acht alte Männer - so wirkten sie auf ihn. Hatten sie seine Gedanken gehört? Seine Sorgen gefühlt?
»Geschieht es dir oft, daß du dich so in Gedanken verlierst?« Turmfalke war mit Helfer fertig und rieb ihre Hände im Sand sauber. Der Hund stand auf, drehte sich mehrmals im Kreis, bis er den richtigen Platz gefunden hatte, legte sich dann hin und schlief wieder ein.
»Ehrlich gesagt, ich weiß es nicht. Vielleicht, aber es ist selten jemand bei mir, der mich darauf aufmerksam macht.«
»Ist das nicht schwer zu ertragen? Immer allein zu sein? Ich würde vor Einsamkeit sterben.«
Turmfalke schlug die Arme um die Beine und stützte das Kinn auf die Knie. Das lange, schwarze Haar fiel ihr über die Schultern.
»Oh, ich bin viel einsamer, wenn ich mit Menschen zusammen bin.«
»Das verstehe ich nicht.«
Sonnenjäger erwiderte ihren Blick, konzentrierte sich aber auf das frühlingsharte Wispern in den Hartriegelbäumen. Das leise Geräusch beruhigte ihn. »Einsam bin ich immer nur dann, wenn ich mich nicht besonders mag. Normalerweise mag ich mich, wenn ich allein bin. Nur wenn ich mit Menschen zusammen bin, ist das anders.«
»Warum magst du dich nicht, wenn du mit Menschen zusammen bist?«
»Oh, wahrscheinlich, weil mein Spiegelbild in ihren Augen mich erschreckt.« Er zögerte und schob die kalten Muscheln mit einer Hand in seiner Holztasse herum. »Ich sehe mich so, wie sie mich sehen, und ich weiß, daß ich ihren Erwartungen niemals gerecht werden und der Mann sein kann, für den sie mich halten.«
Turmfalke sah ihn mit geneigtem Kopf an. »Und dann bist du einsam?«
»Ja.« Sonnenjäger lächelte. »Ich sehne mich nach dem Ich, das ich mag. Im vergangenen Jahresumlauf habe ich nicht viel von diesem Mann gesehen.«
»Dann verletzt es dich also, mit anderen zusammenzusein?« Er nickte. »Beinahe jede Unterhaltung, jeder Moment, den ich mit einem anderen verbringe, ist wie ein Zusammenstoß. Ich fühle mich verletzt, wenn ich weggehe.«
»So habe ich die Einsamkeit nie gesehen. Ich bin glücklicher, wenn ich höre, wie jemand in meiner Nähe spricht oder sich bewegt.« Sie schwieg verlegen, als wüßte sie nicht mehr, was sie sagen sollte, und Sonnenjäger füllte die Lücke in der Unterhaltung.
»Träumer sind empfindlicher als normale Leute und leicht zu verletzen.«
»Du? Leicht zu verletzen?« Ungläubig und fast spöttisch verzog sie den Mund. »Der große Sonnenjäger?«
Er lächelte müde und betrachte die Blütenblätter des Hartriegels, die im Wind über den Sand wehten.
Wie Schmetterlingsflügel flatterten sie hin und her. »Viel zu leicht, leider.«
Turmfalke rieb das Kinn sacht an dem feinen Leder, das ihre Knie bedeckte. Im Schein des Feuers leuchtete ihr Haar golden, als wäre es aus dem Sonnenlicht des Sommers gewebt. Sonnenjäger nahm seinen langen Treibholzast und klopfte damit auf die Steine in der Feuergrube. Turmfalke hatte eine merkwürdige Wirkung auf ihn. Ungeachtet dessen, was er gerade gesagt hatte, war in den vergangenen fünf Tagen von einem ständigen Zusammenstoß nichts zu spüren gewesen. Sie hatten angenehme Gespräche geführt und oft gelacht.
»Aber ich wollte nicht sagen, daß es mich einsam macht, in deiner Nähe zu sein, Turmfalke. Ich habe die Zeit genossen, die wir gemeinsam verbracht haben.«
Ein lautloses Zwiegespräch ging zwischen ihnen hin und her, es war warm und kraftvoll wie eine starke Strömung. »Ich auch, Sonnenjäger.«
Sie hielt ihn mit ihrem Blick fest. Plötzlich war es ihm, als stünde er auf einem hohen Felsenkamm mitten in einem Gewitter. Sein ganzer Körper prickelte. Als er die Erregung an genau der falschen Stelle fühlte, ließ er hastig den Blick sinken und schnitt eine Grimasse.
Helfer brummte.
Sonnenjäger dachte, es sei ein
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