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Vorzeitsaga 05 - Das Volk an der Küste

Vorzeitsaga 05 - Das Volk an der Küste

Titel: Vorzeitsaga 05 - Das Volk an der Küste Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gear & Gear
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tatsächlichen Leben. Seine Stimme wurde über das Wasser getragen und vom hohen Röhricht sanft zurückgeworfen. Die Grillen verstummten, als wäre es das Gebrüll der Donnerwesen.
    Stechapfel beugte sich vor und legte den Mund auf die eingefallenen Lippen seines Sohns. Er verwandte so viel Mühe darauf, in dieses winzige, tote Baby Leben einzuhauchen, wie ein Mann zur Herstellung einer besonders fein gearbeiteten Speerspitze verwenden würde. Wenn er Atem holte, rief er Morgenrötekind um Hilfe an. Kleiner Kojote schmeckte nach Staub und Rauch. Eine ganze Weile hauchte Stechapfel ihm Leben ein und sang. Dann erhob sich Morgenrötekinds blaßblauer Schein über den östlichen Bergen. Das Sternenvolk zog sich ehrerbietig zurück.
    Stechapfel blinzelte.
    Der Schatten seines Sohns huschte wie eine Ausgeburt der Nacht über die ruhige Oberfläche des Teichs im Osten. Morgenrötekinds Glanz tanzte wie eine glühende Aura um Kleiner Kojotes Schatten.
    Freudig erregt umarmte Stechapfel sich selbst. Doch er fuhr damit fort, Leben in den trockenen, nach Rauch schmeckenden Mund seines Sohnes zu hauchen.
    Kleiner Kojotes Schatten löste sich vom Wasser und trottete über den Pfad auf ihn zu. Er war klein und dunkel. So dunkel, daß er das Röhricht und die spiegelnde Wasseroberfläche verdeckte.
    Schwärzer als schwarz. Der Schatten kroch in Kleiner Kojotes Körper, und eine hohe, kindliche Stimme sagte leise:
    »Hier bin ich, Vater. Was willst du von mir?«
    Stechapfel fiel keuchend und mit weit geöffneten Augen rückwärts auf das Moos. Mit einer Hand stützte er sich auf dem kühlen, grünen Teppich ab. Das Gesicht seines Sohns glühte wie von einem inneren Feuer.
    Er stellte Kleiner Kojote aufrecht hin. »O mein Sohn, mein Sohn! Endlich habe ich dir einen Körper gegeben. Seit Jahresumläufen habe ich es versucht. Das mußt du mir glauben.«
    »Sehr lange habe ich auf diesen toten Körper gewartet.«
    »Ja. Ich weiß. Einen anderen habe ich im Moment nicht für dich.
    Lange habe ich versucht, dir einen lebenden Körper zu geben. Die Frauen meines Klans tuschelten schon, daß meine Ehefrauen keine Kinder zur Welt bringen könnten, weil ich von den Geistern verflucht sei, aber ich wußte es besser. Warum, denkst du, habe ich ein Baby wie deine Mutter geheiratet? Sie war frisch und unverdorben. Ich habe sie an dem Tag ausgesucht, als sie zum ersten Mal die Menstruationshütte betrat.« Er kicherte leise. »Ja, ich wußte, daß irgendwann mein Samen in diesem jungfräulichen Boden Wurzeln schlagen würde.«
    »Was willst du von mir?«
    Die Stimme des Jungen vibrierte, als hätte er Angst. Stechapfel befeuchtete die Lippen und beugte sich so weit vor, daß sein Gesicht nur noch eine Handbreit von dem seines Sohns entfernt war. Die winzigen grünen Augensteine erhielten einen silbrigen Glanz, als wären sie von einer Eisschicht bedeckt.
    »Die Wahrheit, mein Sohn. Sonst nichts. Deine Mutter ist dort draußen und läuft vor mir davon. Wo ist sie? Ich muß sie finden und für das büßen lassen, was sie dir … was sie uns angetan hat.«
    Kleiner Kojotes Mund bewegte sich so unmerklich, als wäre es nur ein Flackern des Sternenlichts. Die Stimme des Jungen klang traurig. ,Es gibt einen Hexer, der Bescheid weiß. Ihn mußt du finden. Von ihm erhältst du die Antwort auf all deine Fragen. Und sie wird ganz in deiner Nähe sein …«
    »Junge!… Junge!«
    Die glitzernde Dunkelheit im Land der Toten war von Stille erfüllt.
    »Junge, kannst du mich hören?«
    Der Mann zerteilte die Dunkelheit mit den Händen, und sein Blick drang durch die Schichten von Wolken und Regen bis tief hinunter zu dem Jungen. Die Seele des Jungen glühte in einem kräftigen Blau, das seinen häßlichen toten Körper durchdrang.
    »Junge, deine Angst sticht wie ein Eiszapfen in mein Herz. Ich kann dir helfen, wenn du mich läßt.«
    Die Stimme des Jungen trieb nach oben. Sie war kaum vernehmbar. »Hast du mir nicht gesagt, Mann, ich solle lernen, für alle, die mich lieben, wie ein totes Kind zu sein? Sterben bedeute, daß man aufhöre, seine Freunde zu beurteilen? Ich bin jetzt für dich gestorben, Mann.«
    Aber die Tränen des Jungen schlugen wie Blitze in die Erde und ließen das Land der Toten erbeben.
    Der Mann sagte: »Wenn du wirklich für mich gestorben bist, Junge, dann solltest du keine Angst haben, mit mir zu sprechen. Vielleicht solltest du darüber nachdenken, warum du Angst vor mir hast.
    Hast du mich beurteilt, Junge? Willst du deswegen nicht

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