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Vorzeitsaga 05 - Das Volk an der Küste

Vorzeitsaga 05 - Das Volk an der Küste

Titel: Vorzeitsaga 05 - Das Volk an der Küste Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gear & Gear
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sein Sterbelied singen? Die Töne trällerten auf und ab wie ein entsetzliches Wiegenlied.
    Nein, o nein!
    »Sieh deinem Mann ins Gesicht!« Tannin nahm Turmfalkes Arm fest in den Griff und zwang sie, zu Stechapfel hinzusehen, der in sein bestes, aus geräuchertem Wapitileder genähtes und tiefgolden gebeiztes Festgewand gekleidet war. Rote und gelbe Stachelschweinborsten verzierten Brust und Ärmel. Regendurchweichte Federn hingen traurig von seinem Kopf herab.
    »Du dachtest also, du könntest mir entkommen«, zischelte Stechapfel wütend, wobei er sich Turmfalke bis auf eine Handbreit näherte. Seine Haut war von den vielen Handelsreisen so stark gegerbt, daß sie ausgetrocknetem Leder ähnelte. Am Nacken fiel sie in tiefen Falten schlaff herunter, und unter den Augen hatte er große Tränensäcke.
    Turmfalke starrte ihn an und versuchte, ihre zitternden Knie zu ignorieren.
    Die Dorfbewohner schlössen den Kreis. Ihre Augen waren wachsam; aufmerksam und gespannt warteten sie auf das endgültige Urteil. Ein paar junge Frauen flüsterten hinter vorgehaltener Hand und zeigten auf Turmfalkes Leib. Sie hörte jemanden sagen: »… vor mindestens acht Monden.«
    Die Worte erfüllten Stechapfel mit Zorn. Er stieß einen schrillen Schrei aus und bewegte sich so schnell, daß Turmfalke keine Zeit hatte, sich zu ducken. Sein Hieb traf sie an der Schläfe, so daß sie zur Seite taumelte. Als sie nicht fiel, trat er ihr unbarmherzig die Beine unter dem Leib weg. Sie schlug hart auf den nassen Boden.
    Eiskraut sprang auf die Füße und schrie: »Nein!« Er war groß und schlank und hatte weiche, braune Augen. Sein Medizinbeutel hing an einem Riemen um seinen Hals. Mit den von Turmfalke gefertigten rot-schwarz-weißen Mustern versehen, bildete er einen leuchtenden Farbfleck in der Mitte seines Wolfslederhemdes. Die langen Fransen an seiner Hose schwangen hin und her, als er zögernd vorwärtsging. »Stechapfel, du … du hast gesagt, du würdest ihr nicht weh tun. Du hast gesagt, du würdest sie nur ausstoßen!«
    Turmfalkes Herz füllte sich mit Entsetzen. Sie starrte ihn an wie ein von der Keule des Jägers getroffenes Tier. Eiskrauts Augen wurden starr, als sie Turmfalkes Blick begegneten, und in ihren Ohren begann das Blut schwindelerregend zu brausen.
    Schwach rief sie: »Eiskraut!«
    »Turmfalke, ich … ich wußte nicht, daß er dir das antun würde. Als er mich faßte, hat er mir gesagt, ich schwörs dir …«
    Stechapfel wirbelte zu Eiskraut herum. »Halte dich raus, du Feigling! Dich trifft genauso viel Schuld wie sie.«
    Eiskraut wich zurück. Turmfalke starrte ihn verständnislos an, und ein schwarzer Abgrund öffnete sich plötzlich in ihrer Seele. Nein. Stumm formten ihre Lippen das Wort. Es kann nicht sein. Er würde mich niemals verraten …
    »Stechapfel!« rief Eiskraut mit zitternder Stimme. »Sonnenjäger sagt, wir sollen unsere Frauen nicht schlagen. Er sagt, Wolfsträumer hört und sieht alles. Wir müssen alle …«
    »Sonnenjäger!« brüllte Stechapfel. Seine faltigen Wangen wurden rot vor Wut. »Dieser junge Trottel von der Küste! Der ist doch verrückt! Du glaubst doch wohl nicht an seinen Blödsinn?« Er starrte wild in die Menge, nahm jeden Gesichtsausdruck wahr und erkannte die Gläubigen und die Zweifler. »Was ist passiert, während ich weg war? Seid ihr alle von diesem Unsinn angesteckt worden? Glaubt ihr etwa, daß eure Ahnen vom Land der Toten zurückkommen werden? Ich bin gerade von den Großen Nördlichen Seen zurückgekehrt. Die Leute dort haben von Sonnenjäger gehört, aber sie glauben nicht an seinen Neuen Weg. Und ihr solltet das auch nicht. Denkt ihr wirklich, daß alle Mammuts zurückkehren werden, wenn ihr die idiotischen Lieder singt, die Sonnenjäger euch lehrt? Der Mammut-Geist-Tanz ist Unsinn!«
    »Sonnenjäger …« Turmfalke hielt den Atem an, bevor sie tief ausatmete. Wie viele Nächte hatte sie wach gelegen und Eiskraut gelauscht, der ihr die Geschichten der regelmäßig im Wacholder-Dorf vorbeikommenden Händler weitererzählt hatte? Sonnenjäger war erst fünfundzwanzig Sommer alt, und dennoch sprachen die Leute seinen Namen leise und ehrfürchtig aus, als wäre er eine Legende und nicht ein lebendiger und atmender Mensch. Man erzählte von ihm, er sei gestorben und auf den durchscheinenden Flügeln der Donnerwesen zum Land der Toten getragen worden. Dort traf er die Geister der Ahnen und sprach mit ihnen. Sie lehrten ihn einen Tanz, und dieser Tanz, erklärte

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