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Vorzeitsaga 06 - Das Volk an den Seen

Vorzeitsaga 06 - Das Volk an den Seen

Titel: Vorzeitsaga 06 - Das Volk an den Seen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kathleen O'Neal Gear , W. Michael Gear
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Ehrfürchtig betrachteten die Menschen die schönen Urnen mit der Asche der Familienmitglieder, die im vergangenen Jahr gestorben waren. Heute würden sie diese Überreste mit denen ihrer Vorfahren in den Gemeinschaftshäusern der Clans in der Stadt der Toten vermischen. Keiner ihrer Lieben würde jemals mehr allein sein.
    Aufregung bemächtigte sich der festlich gekleideten Menschen. Sie trugen glänzende Muscheln, poliertes Kupfer oder Ketten aus fein geschliffenen Steinen um den Hals. Schnüre mit Steinen, Knochen und Muschelperlen wurden stolz zur Schau gestellt. In seidigen schwarzen Haaren steckten grell bunte Federn, und die Gesichter waren mit großer Sorgfalt bemalt worden.
    Während die Tänzer herumwirbelten und ihre Gebete zu den Geistern sangen, brachten Verwandte die Leichname zu den Krematorien - flache Lehmgruben mit trockenem Hartholz, in die man die ausgedörrten Körper legte. Das Feuer brachten Mitglieder des Sonnenclans vom Tempel im Südteil des Hügelkomplexes. Die Flammen erfaßten die Leichname und überführten das Fleisch ihrer Körper in das Nichts, aus dem sie gekommen waren.
    Fromme Verwandte beteten und sangen zu den Seelen der Verschiedenen, und so wußten die Geister, daß man ihrer gedachte. Nun hatten sie keinen Grund mehr, unter den Lebenden zu verweilen. Danach wurden Nahrung, Getränke und Geschenke auf den Hügeln angeboten.
    Auch Bunte Krähe, der Aasvogel, der listige Jäger, bekam seine Opfergaben. Denn Bunte Krähe kannte die Toten, erwies ihnen Gefälligkeiten und brachte Nachrichten von ihnen ins Land der Lebenden.
    Deshalb verehrte man ihn; das Bild des Vogels wurde oft in Pfeifenköpfe geschnitzt, in Kupferstücke geschlagen und aus Glimmerplättchen geschnitzt.
    »Ja«, sagte Grüne Spinne, der sich zutiefst unwohl fühlte. »Ich will sterben, wenn mir das die Macht gibt. Ich will alles tun, um die Geheimnisse der Macht zu durchschauen.«
    Bist du sicher? Du träumst doch nur, deine Seele ist vom Körper befreit und schwebt frei im Raum.
    Vier Tage und vier Nächte hast du auf der Matte gelegen, ohne Nahrung und ohne Wasser. Du hast dich gezwungen, wach zu bleiben und deine Seele von Gedanken zu befreien. Vielleicht phantasierst du nur.
    »Willst du mir erzählen, das alles sei nur Illusion? Ich kann alles sehen, alles, was Bunte Krähe sieht, wenn er am Himmel kreist.«
    Alles ist Illusion. Aber du mußt erst sterben, bevor du verstehst. Du wirst das Test versäumen.
    Erst als die Toten versorgt waren, wandten die Trauernden sich wieder den Lebenden zu. Warme Häuser und besorgte Familien erwarteten sie - und natürlich hatte man sich die Neuigkeiten von der Feier zu erzählen. Der Winter war die Zeit der Zusammenkünfte und Erzählungen am behaglich warmen Feuer. Schneide- und Schnitzarbeiten an Faustkeilen, Krummäxten, Atlatls und Pfeifen wurden ausgeführt, während die Menschen auf den Saatmond warteten. Weber gestalteten ihre Kunstwerke. Jäger stiegen ins Hochland, um den Weißschwanzhirsch mit Schlingen zu fangen, oder sie lauerten Truthähnen und Waldhühnern auf, die sie mit Bolas zur Strecke brachten. Dieses Wurfgeschoß, das sich um Hals oder Beine der Beute schlang, bestand aus fünf Riemen, die an den einen Enden zusammengebunden waren, und an deren anderen Enden jeweils ein Stein befestigt war.
    Viele Menschen brachen zur Stadt der Toten auf, weil sie ihre Vorfahren um Rat fragen oder die Welt der Geister um Hilfe bitten wollten. Andere beteten, daß sie im Krieg mutig und siegreich sein würden, oder sie erflehten die Fähigkeit, Kranke und Verwundete zu heilen. Junge Leute, die verliebt waren, baten um baldige Heirat oder eine erfolgreiche Verführung. Manche erhofften sich wohl auch Einblicke in die Zukunft oder Warnungen vor kommendem Unheil.
    »Ist das alles? Ich tausche ein Fest gegen die Macht.«
    Bist du sicher? Ein Fest für die Macht? Ein armseliger Händler würdest du sein, Grüne Spinne. Aber wenn du tust, was ich verlange, machst du den Handel deines Lebens. Ein schlauer Händler würde sich in acht nehmen.
    Unwillkürlich blickte Grüne Spinne zum Lager der Händler, das sich oberhalb des Kanulandeplatzes befand. Am Sonnenwendtag fand der Austausch wertvoller Güter statt: feine Stoffe, bunt gefärbte Tuche, Haifischzähne und Muschelschalen aus dem Südmeer, kultische Pfeifen aus den großen Erdwerken der Schlangenhäuptlinge, Kupfer und Silber aus dem Land nördlich des Frischwassersees, Delikatessen wie Ahornsirup aus dem fernen

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