Vorzeitsaga 06 - Das Volk an den Seen
wenn sie auf ihre hoch angesetzten Brüste, ihre muskulösen Hüften und ihre glatten Schenkel schauten. Wäre da nicht ihr ganz persönlicher Widerstand gegen die Verpflichtungen des Clans gewesen, dann wäre sie schon längst verheiratet, und hätte eine quirlige Schar Sprößlinge.
Die Pflichten einer Ehefrau zu übernehmen hatte sie nie gereizt. Lieber verbrachte sie ihre Tage im Bug eines Einbaums stehend, Atlatl und Wurfspeer in der Hand, auf der Suche nach Alligatoren auf einem der Moorseen. Am aufregendsten war für sie, einen blutigen Köder an einer geflochtenen Hanfschnur ins tiefe Wasser zu werfen, um die Schnappschildkröte aus ihrem Schlammlager zu locken. Niemand konnte so lange unter Wasser bleiben wie Perle, um Süßwassermuscheln oder Muscheln hinter der Brandung zu suchen. Ihre Vettern gaben widerwillig zu, daß sie sogar besser schwimmen konnte als der Katzenfisch.
Vier Monate vorher war sie von ihrem bisher verwegensten Unternehmen zurückgekehrt. Sie hatte einen ihrer Vettern auf einer Handelsexpedition zu den Inselvölkern jenseits des Meeres begleitet.
Einer solchen Fahrt konnten sich nur wenige Männer der Anhinga rühmen - von Frauen ganz zu schweigen.
Sie kannte den scherzhaften Spruch, daß kein Mann, der bei Sinnen wäre, Perle heiraten würde.
Welcher Mann wollte auch eine Frau heiraten, die ein besserer Mann war als er selbst? Der Clan hatte sich nicht dafür interessiert, was sie tat. Sie half, die Töpfe mit Panzerkrebsen, Krabben und anderen Delikatessen aus dem Sumpfland und dem Meer zu füllen. Außerdem waren ihre älteren Schwestern gut verheiratet und konnten dem Clan männlichen Nachwuchs schenken und neue Familienverbindungen knüpfen.
Als der Fremde für Perle so viel Kupfer geboten hatte, war in Großvaters Seele einiges durcheinandergeraten. Er hatte sich einen Ruck gegeben und schließlich diskret durchblicken lassen, daß Perle zu haben sei - allerdings nur mit einer Heirat. Damit würde Großvater in eine verwandtschaftliche Beziehung zu den Nordvölkern treten. Danach könnte er Kanus voller Austernschalen, Haifischzähnen, Kohlpalmenmatten, Sumpfeichenmoos, Alligatorhäuten, Yaupon, bunter Federn und anderer Waren aussenden und dafür Kupfer, Faustkeile, Bleiglanz, Steatit, Obsidian, Messerflußfeuerstein, Grünstein, kultische Pfeifen und andere exotische Güter eintauschen.
Dann wäre er nicht mehr von den freien Händlern abhängig, die auf dem Fluß kamen.
Tagelang wurde gefeilscht, was Perle anfangs belustigte; man wollte sie mit einem jungen Mann aus dem Norden verkuppeln, dem Sohn eines angesehenen Kriegers. Das war sicher Großvaters Idee, um eine lukrative Geschäftsverbindung auszubauen.
Aber erst als die Abmachung mit dem Ritual des Blut- und Geschenkeaustauschs besiegelt worden war, wurde Perle bewußt, daß der Anhingaclan sich nicht nur an den Handel halten wollte, sondern sich auch einen ansehnlichen Vorteil davon versprach.
Wütend, daß man sie an eine Horde von Barbaren aus dem Norden verkauft hatte, eilte sie zu Großmutter, die sich jedoch schon ausrechnete, welcher Wohlstand sich aus der Verbindung ergeben würde.
»Geh nur, mein Kind. Du bringst uns großen Reichtum.«
»Ich? Gehen?« hatte Perle entgegnet und die Arme hochgeworfen. »Er soll gefälligst zu mir kommen.«
Die alte Frau hatte ihr kopfschüttelnd bedeutet: »Im Norden gilt die männliche Abstammungslinie.
Eine Frau, die heiratet, geht zum Dorf des Mannes. Das viele Kupfer war es uns wert, dich dorthin zu schicken. Denk doch mal nach, Mädchen. Mit diesem Kupfer können wir an der ganzen Küste Geschäfte machen.« »Aber Großmutter!«
Die alte Frau hatte sie betrachtet und gesagt: »Wen willst du hier heiraten, Perle? Seit vier Jahren bist du mündig. Wird dein Name genannt, lächeln die Männer nur. Sie achten dich, und sie haben dich gern, aber dich heiraten? Welcher Mann wollte denn ein Kind mit dir zeugen, das er dann allein aufziehen darf, während du mit Alligatoren kämpfst und Mokassinschlangen ärgerst?«
»Aber daß ihr mich einfach in den Norden schickt…«
»Du hast Pflichten dem Clan gegenüber, und ich würde dich nicht gern an irgendeinen hinterwäldlerischen Moorjäger verlieren. Wen gibt es denn hier für dich?« Sie hatte den Kopf geschüttelt. »Nein, mein Mädchen, so ist es besser. Wir dienen alle dem Clan. Das Los der Frauen ist Verantwortung. Der Geheimnisvolle hat es so eingerichtet, daß Männer verantwortungslose Wesen sind, die
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