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Vorzeitsaga 06 - Das Volk an den Seen

Vorzeitsaga 06 - Das Volk an den Seen

Titel: Vorzeitsaga 06 - Das Volk an den Seen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kathleen O'Neal Gear , W. Michael Gear
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ließ, wurde ihm ihre Kraft bewußt.«
    »Das klingt, als hättest du Mitleid mit ihm.«
    Die Schritte des Magiers knirschten im Schnee. »Ich habe ihn gekannt, er war ein aufgeweckter, ehrgeiziger Jüngling. Er veränderte sich. Aber das begriff er erst, als er die Maske zum Berg zurückbrachte.«
    »Mir fällt es immer noch schwer, das zu verstehen. Warum haben die Langschädel nicht… warum hast du die Maske nicht zurückverlangt?«
    Langer Mann ging eine Weile schweigend weiter. »Heilige Gegenstände sind nicht Eigentum einer Person, sie gehören sich selbst. Menschen nehmen sie nur in ihre Obhut - und die Macht erfüllt sie. Es stimmt, daß es einer meiner Vorfahren war, der die Maske angefertigt hat. Betrachte sie nicht als eine Zierde, sondern eher als eine Behausung. Der Geist von Bunte Krähe hat sich dort eingenistet, das ist alles. Und danach war die Maske mehr als nur ein Gegenstand aus Holz und Federn.«
    Sie schüttelte den Kopf. »Das ergibt keinen Sinn. Du erzählst mir, daß Bunte Krähe in Wirklichkeit dieser Rabenjäger ist. Bunte Krähe hat gute Werke getan, er kam zum Beispiel in die Welt und zeigte den Menschen, wie man die Ahnen ehrt. Befreite uns von den Geistern, die die Menschen verfolgten.
    Und jetzt sagst du, Bunte Krähe sei böse.«
    »Nicht böse, junge Sternmuschel. Die Welt hält sich zwischen Gegensätzen in der Balance. Gibt es Leben ohne Tod? Glück ohne Leid? Hättest du Lust, etwas zu essen, wenn es keinen Hunger gäbe?
    Könnten Bussarde ohne Mäuse leben, Berglöwen ohne Hirsche? Nein! Es ist alles eine Sache des Gleichgewichts. Würde es niemals Nacht, könnten die Glühwürmchen nicht leuchten. Ohne Winter könnten sich die Äcker nicht verjüngen. Sterne würden nie scheinen, verhüllte die Dunkelheit nicht den Himmel.«
    Schweigend ging sie weiter.
    Der Zauberer hob die kurzen Arme. »Die Gegensätze der Welt sind so ineinander verschränkt wie die Finger beider Hände, sie zerren aneinander, weil jeder die Oberhand gewinnen will. Als die Langschädel selbstzufrieden und träge wurden, fertigte jemand die Maske. Die Menschen - und auch die Geister - brauchen diesen Wettstreit. Wenn man nicht immer wieder einen alten Wald abbrennt, kann kein neuer wachsen. Feuer und Schatten. Immer im Wechsel!«
    Sie schüttelte den Kopf, unfähig, etwas zu entgegnen.
    Langer Mann ließ die Arme sinken. »Aber worum es jetzt eigentlich geht, ist, daß die Maske von Rabenjäger zuviel Macht gewonnen hat. Ich weiß nicht, warum. Vielleicht saugt sie dem Maskenträger Kraft ab und verleibt sie sich ein.
    Wie eine Zecke Blut saugen muß. Aber wie auch immer: Zwietracht entsteht. Und Zwietracht bringt die Menschen gegeneinander auf. Wenn das geschieht, werden sie sich bemühen, die Situation zu ändern.«
    »Ich weiß nicht, was gegen etwas Harmonie einzuwenden ist.«
    »Nichts, gar nichts. Aber wenn wir unser Leben nur in Harmonie verbrächten - was würden wir dann noch vollbringen? Denk an die Clans. Dauernd streiten sie und wetteifern miteinander. Gleichgültig, wie fruchtbar ein Acker ist, er bringt nur für eine bestimmte Zeit Gänsefuß hervor. Danach wachsen dort keine gesunden Pflanzen mehr. Das Schlüsselwort ist Gleichgewicht. Man braucht genug Harmonie, um Sicherheit zu erlangen, und genügend Schwierigkeiten, damit sich etwas bewegt.«
    Sternmuschel blickte zu den Hängen mit den kahlen Bäumen oberhalb des unberührten Schnees empor. Auf einer Terrasse sah sie ein einsames Bauernhaus, das verlassen wirkte. Die Bewohner waren wohl zu Verwandten gezogen, um dort die langen Winternächte in gemütlicher Gesellschaft zu verbringen.
    Dafür war der Winter gut: um Geschichten zu erzählen, am Webstuhl zu arbeiten und mit Freunden zu plaudern. Darauf hatte sie sich früher immer gefreut. Statt dessen stapfte sie jetzt durch die Kälte, und ihre Träume vom Glück hatten sich zerschlagen. Sie hatte nicht einmal Zeit gehabt, ihre Mutter zu betrauern. Warum hatte sich alles nur so unheilvoll entwickelt? Womit hatte sie das verdient?
    Sie sah den Magier von der Seite an. »Du redest viel, aber gesagt hast du mir noch nichts. Über die Zukunft, meine ich.«
    »Die Zukunft?« Er lachte leise in sich hinein. »Glaubst du, dir ist wohler, wenn du die Zukunft kennst? Was würdest du sagen, wenn ich dir erzählte, du würdest morgen bei einem Flußübergang im Eis einbrechen? Und wenn ich dir erzählte, deine Leiche würde nie gefunden und dein Geist bliebe ewig da unten im Schlamm gefangen? Wäre

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