Vorzeitsaga 07 - Das Volk der Blitze
Keiner von diesen Männern nimmt mich ernst. Ich habe keine Freunde, außer dir. Wenn du wieder meine Freundin sein willst.«
»Ja, das will ich gern sein.«
Eine Zeit lang aßen sie schweigend und blickten sich über das Feuer hinweg an. Rotalge reichte ihm ein Stück Fleisch, und er nahm es, unsicher lächelnd, als ob er fürchtete, sie könnte plötzlich ihre Meinung ändern und es ihm wieder aus den Händen reißen. Dieses Verhalten fand Rotalge sehr aufregend. Soweit sie sich erinnern konnte, hatte Häsling als der gefürchtetste Schläger von Kernholz-Dorf gegolten, vielleicht weil er so oft gezwungen war, Teichläufer zu verteidigen - und sie. Mehr als einmal war Häsling mitten in eine Rauferei von Rotalge hineingesprungen. Das war kein Opfer für Häsling. Schon als kleiner Junge war er größer als seine Altersgenossen gewesen, und zu kämpfen hatte ihm anscheinend immer Spaß gemacht. Was er gewollt hatte, hatte er sich genommen. Zwar hatte er seinen ersten Bären schon vor zwei Sommern erlegt, aber er war noch kein ausgewachsener Mann; doch das konnte sich mit diesem Kriegszug ändern.
Der Gedanke brachte sie auf Teichläufer. Dank seiner Heirat war er ein Mann geworden, aber Rotalge fragte sich, ob er bei dem Überfall gezwungen gewesen war zu töten. Sie hoffte es nicht. Es hätte Teichläufer das Herz gebrochen.
»Hast du Angst, Rotalge?«
»Angst?« Sie wischte sich die fettigen Finger im Sand ab. »Wovor?«
»Angst, auf dem Kriegszug zu sein. Immerhin, wir könnten auf Kupferkopfs Krieger treffen.« Seine Augen verengten sich, als er sie anschaute, und sie sah, dass die Angst an ihm nagte, obwohl er das nicht zugeben wollte. Seine dunklen Brauen zogen sich über der geraden Nase zusammen.
»Oh«, sagte sie auflachend, »da ist in der Tat etwas, das mir Angst macht. Ich bin recht geschickt mit dem Atlatl, aber der Gedanke, einen Mann zu durchbohren, ist mir sehr unangenehm.«
»Aber wir sind Krieger«, sagte er so leise, dass das Rauschen des Meeres seine Worte fast übertönte.
Er packte sein Bratenstück fester. »Und von Kriegern wird erwartet, dass sie keine Angst haben. Das ist doch richtig?«
Rotalge aß den letzten Bissen und warf das Brustbein ins Feuer. Die Flammen züngelten um die Knochen hoch, und schwarzer Rauch kreiselte empor, bevor er verwehte. Er hatte sie eine Kriegerin genannt. Hatte sie mit einbezogen. Stolz schwellte ihre Brust. »Ich habe Krieger sagen hören, dass sie in Kämpfen Angst haben. Wieso auch nicht. Wenn ein Feind mit einem Speer auf deine Brust zielt, dann musst du Angst haben, egal, wie mutig du sonst bist.«
Häsling schien darüber nachzudenken. Schließlich nickte er. »Ja, ich glaube auch.«
»Hast du denn Angst, Häsling?«
Ein dünnes Lächeln kräuselte seine Lippen. Er flüsterte: »Ich bin starr vor Angst, kleine Schwester.
Und dabei ist nicht einmal ein feindlicher Krieger in Sicht.«
Rotalge lächelte. »Du bist auf deinem ersten Kriegszug. Hast du denn erwartet, dass du dich sicher fühlen würdest?«
»Nun ja«, sagte er mit geneigtem Kopf. »Eigentlich nicht. Aber ich habe von mir erwartet, dass ich mich mutig fühle. Ging es dir nicht auch so?«
Rotalge lächelte und sagte nachdenklich: »Ich glaube, ich bin zu verzweifelt, um lange darüber nachzudenken, ob ich mutig bin oder nicht.«
»Verzweifelt?« fragte er. »Wieso denn verzweifelt?«
Die Gespräche der Männer verstummten; sie entfernten sich vom großen Feuer und suchten ihre Lager auf. Rotalge sah zu, wie einige Krieger sich in ihre Decken wickelten und sich die Beutel unter den Kopf schoben. Aber Häsling verharrte auf der anderen Seite des Feuers und blickte Rotalge gebannt ins Gesicht. »Kannst du es mir nicht sagen?« fragte er drängend. »Wenn nicht, dann verstehe ich das auch. Es gibt Dinge, über die man nicht sprechen kann. Ich dachte nur, du könntest -«
»Ich würde es dir gern sagen, Häsling«, antwortete sie. »Aber es ist schon spät. Alle gehen schlafen, und das sollten wir auch. Ich glaube, morgen wird es noch anstrengender als heute.«
Häsling erhob sich und wischte sich unbeholfen den Sand von den Beinen. »Würde es dir etwas ausmachen, wenn ich meine Decke herbringe und neben dir schlafe?« Hastig fügte er hinzu: »Wenn du's nicht willst, dann sag es nur. Ich bin auch nicht beleidigt. Mir ist klar, dass du -«
»Aber sehr gern, Häsling. Ich hab mich schon den ganzen Tag einsam gefühlt. Mit einem Freund in der Nähe fühlt man sich gleich
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