Vorzeitsaga 07 - Das Volk der Blitze
lassen! Jetzt nicht! Ich brauche dich!«
Sie verschwindet, und eine Bahn von glitzerndem Sternenstaub zieht hinter ihr her.
Allein und voller Angst blicke ich auf meine Frau. Ihr Atmen ist nur mehr eine schnelle Folge ganz flacher Atemstöße. Mir ist, als wäre meine Brust nur noch ein riesiges klaffendes Loch. Da ist nichts mehr. Nichts. Kein Blitzvogel. Kein Donner. Keine Hoffnung. Könnte ich doch nur meine Fäuste in irgendetwas hineinschlagen!
Ich schleiche zu meinem Feuer. Die Glut wirft einen purpurfarbenen Schein über die Baumstämme.
Ich wünschte, Muschelweiß könnte mit mir sprechen. Dann hätte ich weniger Angst.
Aber sie kann es nicht.
Ich bin allein. Und sie braucht mich.
Ich mache ein paar zaghafte Versuche. Ich springe einen Fingerbreit hoch. Nichts geschieht. Ich springe wieder. Endlich hüpfe ich wie ein Verrückter in die Luft, so hoch es geht. Auf und nieder, auf und nieder springe ich, immer wieder …
Dabei schütteln mich Schluchzlaute.
Hier hüpfe ich wie ein Wahnsinniger herum, während meine Frau vor meinen Augen stirbt. Warum bin ich so hilflos? Ich habe immer darauf vertraut, dass andere mich beschützen, so dass ich meine Schwächen übersehen habe. Und wohin hat mich meine Hilflosigkeit geführt?
Heiße Tränen laufen mir übers Gesicht.
Und ich springe, springe und springe.
Um mein Gleichgewicht zu behalten, richte ich meine Augen fest auf die unscharfe Glut, die sich in der Brise leicht verschiebt. Daraus entstehen Bilder - Kernholz- und Windeck-Dorf, meine Hochzeit, der Kampf -, die sich beim nächsten Windstoß wieder auflösen.
Ich bin ein Versager, nicht nur in jenen Dingen, die Großmutter Mondschnecke mir abverlangte wie Jagen und Kämpfen, sondern auch in dem, was ich selbst gewollt habe, zum Beispiel Muschelweiß dazu zu bringen, dass sie mich liebt, und ihr zu helfen, Tauchvogel zu befreien. Ich war willens zu sterben, um dem Blitzvogeljungen zum Leben zu verhelfen, aber nicht einmal das habe ich fertig gebracht. Kann ich denn gar nichts recht machen? Bin ich so völlig nutzlos?
Ich starre auf die Glut. Wie vom Wind gespeist, wird ein grelles, tiefrotes Licht immer stärker sichtbar und streckt lange Finger wie Fühler aus, und sie greifen nach mir. Jetzt springe ich fast unbewusst und bin die meiste Zeit in der Luft. Die roten Fühler drehen sich ineinander, und über der Glut entsteht ein kleiner Wirbelsturm. Ich bin fasziniert und kann meine Augen nicht davon abwenden. Die Hitze nimmt zu; der winzige Wirbelsturm steigt empor und versengt mir das Gesicht. Und ich springe und springe.
Im Auge des Wirbelsturms bildet sich eine weiß glühende Lohe. Das drohende rote Licht wirbelt darum herum und wird immer schneller. Feurige karminrote Bänder winden sich aus dem Licht, um den weißen Feuerkern zu verstärken, und er glüht heller und heller.
»Komm, Blitzjünger«, sagt eine sanfte Stimme, nicht die der Schildpattpuppe, sondern eine männliche Stimme, »tanz mit mir. Komm und tanze die Finsternis hinweg. Du brauchst nur eine Hand nach mir auszustrecken, Blitzjünger.«
Wie ein springender Wasserstrahl aus flüssigem Silber schießt der Feuerkern plötzlich in die Höhe und knistert an meinem Gesicht vorbei auf seinem Weg zum sternenbeschienenen Himmel. Zu Tode erschreckt springe ich zurück und halte mir die Hände schützend vors Gesicht. Doch als ich endlich begreife, schreie ich auf - und springe. Mit beiden Händen greife ich nach den blendenden Schwanzfedern …
Teichläufer erwachte von seinem eigenen Schrei. Dort, wo er sich am Feuer zusammengerollt und in die Dunkelheit geatmet hatte, dort saß er jetzt kerzengerade. Das Feuer war zu weißer Asche niedergebrannt. In der Feuergrube war nicht einmal eine schwach rote Glut mehr übrig. Der Tag brach bald an, der Himmel hatte angefangen, sich blau zu färben. Schweiß lief Teichläufer über Gesicht und Brust.
Vom Lager von Muschelweiß kam eine schwache Stimme. »Teichläufer? Du hast geschrien. Ist alles in Ordnung?«
»Ja, alles in Ordnung, mein Weib.«
»Geträumt?«
Er nickte. »Ja. Ich habe geträumt. Aber es schien so wirklich.«
Er sah zu ihr hinüber; sie hatte sich aufgerichtet und auf einen Ellbogen gestützt. Sie hatte es fertig gebracht, einen Speer zu packen, und sie zielte damit in seine Richtung. Bebend fiel sie zurück aufs Lager, nahm den Speer herunter und legte ihn sich über den Bauch. Die Augen fielen ihr sofort zu, und ihr Kopf rollte zur Seite. Sie schlief oder war nicht
Weitere Kostenlose Bücher