Vorzeitsaga 07 - Das Volk der Blitze
zurechtkommt.
Ich schwöre, manchmal höre ich sie miteinander reden, aber ich kann kein Wort verstehen.«
»Aber Teichläufer, ich habe der Puppe niemals Macht eingehaucht. Ich habe meine Seelen in sie hineingeatmet.
Und ich habe sie gern gehabt, während ich sie gemacht habe. Mehr war da nicht. Zugegeben, der Knochen, aus dem sie geschnitzt ist, ist ein sonderbares Material. Es ist auch kein Knochen, es sieht nur so aus, in Wirklichkeit ist es Stein. Ein sehr alter Stein. Meine Großmutter hat ihn mir gegeben und behauptet, sie hätte ihn wiederum von ihrer Großmutter erhalten. Aber keine von beiden war eine Seelentänzerin, sie haben nur wunderschöne Stoffe gewebt.« Die Augen von Muschelweiß verengten sich. »Wie kann die Puppe eine derartige geistige Macht bekommen haben? Und woher?«
»Ich weiß es nicht. Das hat sie nie gesagt. Doch sie kommt und spricht mit mir. Sie erzählt mir die merkwürdigsten Dinge.«
»Zum Beispiel?«
»Zum Beispiel hat sie mir erzählt, da käme ein großer Sturm, ein Sturm aus Finsternis gemacht, und wenn die Welt überleben soll, dann brauchte sie alles Licht und alle Wärme, die sie bekommen kann.
Sie hat gesagt, jedes Aufblitzen, das in mir entsteht, ist ein Freudenschrei, eine Verheißung, dass das Leben weitergeht. Die Schildpattpuppe nennt Riedgras den ›Erlöser‹, ich weiß nicht, was sie damit meint, aber so nennt sie ihn.« Er blinzelte nachdenklich. »Weißt du es, Muschelweiß?«
»Nein.«
Teichläufer blickte beiseite. Er fuhr sich mit der Zunge über die trockenen Lippen. »Und sie spricht auch über Leute. Zum Beispiel über Kupferkopf. Aber ich habe eigentlich nicht verstanden, was -«
»Was hat sie gesagt?«
»Sie hat gesagt, er sei nicht grausam. Er sei - wie hat sie das genannt? Verlassen, ohne Hoffnung, ohne Trost, ein schwereloser Schatten, der unter Wasser umhertreibt. Sie hat auch gemeint, dass die Wellen seiner Einsamkeit ihn überschwemmen, dass er aber niemals um Hilfe rufen kann. Und es sei auch nicht so, dass er sterben wolle. Sie sagte, er will das Nichts sein.«
Muschelweiß wurde totenbleich. »Davon bin ich überzeugt.« Sie spielte mit einer Ecke ihrer Decke herum, zerknüllte sie und strich sie wieder glatt.
Schwach fragte sie: »Hat die Puppe auch etwas über mich gesagt?«
»O ja.« Teichläufer nickte. »Gestern Abend. Da kam sie und hat mir erzählt, dass du sterben wirst -«
»Sterben?«
»Ja, und hat gesagt, es sei mein Fehler, weil ich es abgelehnt hätte, mit der Seele des Blitzvogels tanzen zu lernen. Sie hat gesagt, wenn ich nicht lernen würde, mich aufzuschwingen und zu blitzen und zu donnern, dann würdest du sterben.« Er hielt inne, mit offenem Mund. »Das habe ich dann also gemacht.«
»Du hast was gemacht?«
»Ich habe gelernt zu donnern.«
Sie zwang sich, auf die Seite zu rollen, um ihm ins Gesicht zu sehen. Sie zog die Brauen zusammen.
»Was heißt das? Wie hast du das gemacht?«
Teichläufer warf mehrmals die Hand in die Höhe. »Ich sprang.«
»Du hast was gemacht?«
Er erhob sich und hüpfte ein paar Mal hoch, um es ihr vorzumachen. Seine Sandalen traten trockenen Staub los, der in Wölkchen aufstieg und Muschelweiß zwang, die Augen zuzukneifen. »Ich sprang.
Die Puppe hat gesagt, ich müsse meine Menschenfüße aufgeben und deswegen immer weiter springen, bis ich vergessen hätte, wie sich der Boden anfühlt. Und so bin ich die ganze Nacht in die Höhe gesprungen, bis schließlich -«
»Bis deine Beine gefühllos wurden?«
»Nein, nein«, verbesserte er sie kopfschüttelnd. Hatte sie das im Ernst gefragt? Sie schaute ihn erwartungsvoll an. Er kniete sich wieder neben sie. »Ich stand da drüben, neben der Feuergrube, und sah in die Glut, als aus der Asche ein roter Tornado herauswirbelte und einen weiß glühenden Kern in sich entstehen ließ, als ob einer der Leuchtleute zur Erde fiele. Und ich -«
»Sprich weiter.«
Er schüttelte sich den Sand aus den Zwischenräumen seiner Zehen. »Eine weiße Stichflamme schoss an meinem Gesicht vorbei, und ich sprang auf und packte den Schwanz mit beiden Händen.« Er griff in die Luft, den unsichtbaren Schwanz mit den Händen umklammernd.
Muschelweiß zuckte mit keiner Wimper. »Und dann?«
»Wachte ich auf.«
»Du bist aufgewacht?«
»Ja. Einfach so. Wie ein Pfeil bin ich in die Höhe geschossen, und gekeucht habe ich wie ein gehetzter Wolf.«
»Also ein Traum?«
Er starrte auf seine Handflächen und hielt sie ihr dann hin. Sie zog seine rechte
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