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Vorzeitsaga 07 - Das Volk der Blitze

Vorzeitsaga 07 - Das Volk der Blitze

Titel: Vorzeitsaga 07 - Das Volk der Blitze Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gear & Gear
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Sommer lang schlief ich mit dieser Ahle über meinem Herzen. Wir waren ein vollendetes Kreuz, die Ahle und ich. Genau das, was wir für ihn sind: Gegensätze, die sich kreuzen. Die Verkörperung von allem, was er hasst -und von allem, was er liebt. Er sehnt sich danach, uns loszuwerden - und kann uns doch nicht lassen. Wir sind das Licht, das auf das Dunkel trifft. Der Punkt, wo Tod Leben ist. Wir sind seine einzige Hoffnung auf Erlösung. Und das weiß er.«
    »Schildpatt-Puppe«, sage ich, »du bist so wahnsinnig anstrengend. Ich wünschte, du könntest deutlicher reden. Immer stellst du mich vor Rätsel, und da bin ich verloren, bevor ich anfange nachzudenken.«
    »Ein Menschenkind mit einem Blitzvogel in seiner Brust tadelt mich - mich! -, dass ich in Rätseln rede?« sagt sie und schnippt aufgebracht ihren Rock zur Seite. »Kein Wunder, dass die Welt am Rand einer Katastrophe steht.«
    Wie ein winziger Tornado aus Herbstlaub und Nebel dreht sie sich wirbelnd empor in das gleißende Morgenlicht, bis sie wie ein kleiner Speer ein Wölkchen durchsticht - und verschwindet.
    Nebelwölkchen, von hinten Sonnenbeschienen, wanderten durch Kernholz-Dorf, umringelten Hütten und streiften weich über glückliche Gesichter. Die Freude über die gestrige Feier hielt noch an.
    Gelächter ertönte, laut und ungehemmt. Schreiende Kinder rasten am Waldrand entlang und spielten Fangen mit ihren Hunden. Die Reste des Festessens waren gleichmäßig auf alle Hütten verteilt worden, und die Gerüche gebackener Kürbisse und aufgewärmter Palmenbeerenkuchen würzten die Luft. Die Meerfrau wiegte sich auf langsame, lässige Art, und ihre Stimme tönte weich unter dem Gekreisch der Möwen, die über den Strand segelten.
    Mondschnecke lehnte sich gegen einen Deckenstapel in ihrer Hütte zurück und sah auf die Versammlung dieses Morgens. Rotalge und Schwarzer Regen saßen zu ihrer Rechten, in einfache hellbraune Gewänder gekleidet, und Schote, dessen kurzes weißes Haar sein hageres Gesicht umwehte, hatte sich links von ihr niedergelassen. Er blickte hinauf zu den Säcken mit Kaktusfeigen, die von der Decke hingen. Neben ihm streckte sich Schwemmstock, auf der Seite liegend, aus. Durch das feine Gewebe seines verblichenen moosfarbenen Gewandes sah man seine Rippen. Er hatte sich Insektenfett über die sehnigen Beine und ins Gesicht geschmiert, und der Fettglanz ließ seine Hakennase noch stärker hervortreten. Er hielt eine reife Dattelpflaume in der einen Hand und in der andern einen Löffel aus dem Schulterblatt eines Kaninchens. Damit schabte er das saftige Fruchtfleisch heraus, das er mit Wonne verzehrte. Vor ihnen standen Holzschalen mit einer Fülle von Delikatessen: Gänsebraten, gebackener Katzenfisch, Hickorynüsse. Rotalge hatte den Kopf gesenkt. Dunkles Haar bedeckte den größten Teil ihres schönen Gesichts; mit einem Finger strich sie über den Sand auf ihrer bloßen Fußsohle. Den ganzen Morgen über war sie schweigsam gewesen. Verdrießlich. Dauernd sah sie zu Teichläufers Lager hin, das Mondschnecke zusammengerollt in die Südecke der Hütte gestellt hatte. Vermisste sie ihren Bruder?
    Wahrscheinlich. Entweder das, oder sie machte sich Sorgen um ihn. Vielleicht beides. Mondschnecke betrachtete sie voller Anteilnahme. Sie hatte dieselben zärtlichen Gefühle gehabt. Den ganzen Morgen hatte sie den Hirschpfad im Auge behalten, immer in der Hoffnung, Teichläufer und Muschelweiß zusammen ins Lager wandern zu sehen. Rotalge schaute auf, und Mondschnecke blinzelte ihr ermutigend zu. Ihre Enkelin lächelte. Es war geteiltes Leid; beide empfanden sie den Verlust eines geliebten Menschen.
    Seit Schwarzer Regen die Kinder Mondschnecke in den Schoß gekippt hatte, waren die drei zusammengewachsen wie sprießende Kletterpflanzen im Frühling; sie verflochten und verschlangen sich ineinander, liebten einander und schützten sich gegenseitig, bis sie sich ein Leben ohne die beiden anderen nicht mehr vorstellen konnten. Aber das war schließlich nur menschlich. Mondschnecke dachte zwar 'nicht gern daran, aber eines Tages würde sie auch Rotalge durch eine Heirat verlieren, und dieses Wissen stach ihr ins Herz.
    »Ich weiß es nicht, Mondschnecke«, sagte Schote kopfschüttelnd. Sein Gesicht schien noch eingefallener an diesem Morgen, als hätte man seine lederhäutigen Wangen bis auf ein nacktes, hervorstechendes Kinn ausgekerbt; seine klugen alten Augen saßen tief in ihren Höhlen. »Ich wüsste von keinem einzigen Ort, der all

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