Vorzeitsaga 07 - Das Volk der Blitze
andern Tieren aus dem Meer.«
»Ja.«
»Was ja?« Teichläufer schüttelte die Fäuste in der Finsternis. »Nährt sich der Vogel von der Angst?«
Streng schaute er in die Augen des alten Irren, und Hundszahn starrte ebenso unverwandt zurück.
»Teichläufer, willst du nicht wissen, warum deine strahlende neue Seele hergekommen ist, um mich zu sehen?«
Teichläufer ließ seine Fäuste in den Schoß zurückfallen. »Ja, ich würde es ganz gern wissen. Aber ich verstehe nicht, warum sie wegfliegt, um mit dir zu sprechen, und dabei noch kein einziges Mal mit mir gesprochen hat.«
»Hat sie das nicht?« fragte Hundszahn überrascht. »Kein Wort?«
»Kein Wort!«
»Na gut.« Er winkte ab. »Das wird sie tun. Wenn es an der Zeit ist. Und danach wirst du fähig sein, alle möglichen wunderbaren Dinge zu tun, wie etwa Regen aus einem klaren Himmel abzurufen und - «
»Hundszahn!« Teichläufers Blicke schweiften unruhig herum. »Was hat sie dir gesagt?«
»Du hast nicht einmal gemerkt, dass sie weggeflogen ist, nicht wahr?«
»Nein«, flüsterte Teichläufer, von Ehrfurcht gepackt. »Wie war das möglich, dass ich das nicht gemerkt habe?«
»Das ist gang und gäbe, Seelen machen das die ganze Zeit. Fliegen hierhin und dorthin, während du schläfst. Deswegen wissen Seelen so vieles, was die Menschen nicht wissen; sie sind Forscher und Entdecker. Und du hast einen ziemlich störrischen Vogel in dir. Der hat mich direkt aus tiefstem Schlaf gerissen.« Hundszahn kratzte sich am Rücken, als wäre er da noch wund. »Wollte mit mir über den Traum sprechen, den ich gehabt habe. Erinnerst du dich noch an meinen Traum?«
»Von den Vier Leuchtenden Adlern?«
»Ja, genau. Dieses Vogeljunge -«
»Wie hätte ich den vergessen können«, warf Teichläufer bissig ein. »Ich hatte schon Angst, mein eigener Clan würde mich im Schlaf ermorden.«
»Also ich gebe zu, daran hatte ich auch gedacht«, erwiderte Hundszahn. »Die Adler sind so alt und schwach und fliegen nur noch mit einem Flügel. Ein jammervoller Anblick. Sind so schrecklich müde, dass sie sich nur mit Mühe in der Luft halten können. Ihr Tag ist fast zu Ende, Teichläufer. Wenn -«
»Hundszahn!« stieß Teichläufer hervor, wohl wissend, was jetzt kommen würde. Die Ängste, die Anschuldigungen, sein ganzes Leben hatte er sie gehört. »Ich verspreche dir, ich werde die Adler nicht töten. Ich wüsste nicht einmal, wie. Und ich will auch nicht, dass die Welt untergeht. Ich habe gerade die wunderbarste Frau der Welt geheiratet. Und ich will, dass wir lange zusammen leben -«
»Lass mich ausreden.« Hundszahn hob eine Hand; sie warf einen unheimlichen, schwankenden Schatten über die Bäume, der einem tanzenden Krieger mit Kriegskeule glich. »Wären die Blitzvögel nicht auf mich herabgestürzt, um mich zur Vernunft zu bringen, dann hätte ich dich bestimmt umgebracht. Aber sie haben mir die Vernunft eingebrannt. Deswegen habe ich dich zum Heiligen Teich gerufen - damit du im Blitz wieder geboren werden könntest. Und deswegen ist das so blendende, schöne Vogeljunge in dir zu mir gekommen. Um mir über deinen Fortschritt zu berichten.«
Teichläufer rutschte hin und her. »Das verstehe ich nicht.«
»Du wirst es noch verstehen. Sehr bald. Das Küken wächst jetzt schnell. Nicht mehr lange, dann wird es sich durch deine Rippen hacken und auf die Jagd gehen. Und dann wird dir alles klar sein.«
Das blauweiße Glühen im Innern von Teichläufer dehnte sich aus und erstreckte sich wärmend bis in Finger und Zehen. »Auf die Jagd?«
»Ja, auf die Jagd! Die Macht wird dir demnächst viel abverlangen, Teichläufer. Dass du Angst hast, ist ganz normal. Tu einfach, was du tun musst.«
Teichläufer hob versuchsweise die Hand und tastete über sein Herz. Die Haut unter dem Gewand fühlte sich unnatürlich heiß an, als ob er fieberte. Er fühlte zwei Herzschläge; einer donnerte gegen seine Rippen, der andere war wie ein schwaches, fernes Donnerrollen. »Ich gelobe, ich werde alles tun, was die Macht von mir verlangt, Hundszahn«, sagte er und fügte leiser hinzu, »was dieser kleine Blitzvogel von mir verlangt.«
Teichläufer benetzte seine Lippen und wappnete sich, um Hundszahn die Frage zu stellen, die ihn nachts wach hielt und ihn seit Tagen quälte. Der alte Mann schien das zu spüren; er runzelte erwartungsvoll die Stirn.
»Hundszahn«, sagte Teichläufer.« Du bist ein großer Seelentänzer. Bitte sag mir - und ich kann die Wahrheit vertragen, wenn ich
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