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Vorzeitsaga 08 - Das Volk der Stille

Vorzeitsaga 08 - Das Volk der Stille

Titel: Vorzeitsaga 08 - Das Volk der Stille Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gear & Gear
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sein?

    »Düne! Düne, Heimatloser! Wach auf, bitte!«
    Es war die Stimme einer Frau. Bei dem Weckruf stützte sich Düne auf und stieß die Decke zurück. Das schöne weiße Zimmer leuchtete blaßblau im Licht der Morgendämmerung. Unter vier Decken hatte er auf weichen Binsenmatten geschlafen. Ein Wasserkrug mit Tasse stand in Reichweite, und Töpfe mit Lebensmitteln waren an der Wand aufgereiht.
    »Wer ist da?« fragte er und schaute auf den Dacheinlaß.
    »Trauertaube, heiliger Heimatloser. Bitte komm. Kriecher hat mich geschickt.«
    »Einen Augenblick, Trauertaube.«
    »Ja, Ältester.«
    Düne warf die Decken ganz zurück und griff nach seinem abgetragenen braunen Gewand. Er streifte es sich über den Kopf und ächzte laut. Er wußte nicht, was ihn mehr schmerzte - die Schultern, die Knie oder die Hüften. Vorsichtig nahm er seinen Kaninchenfell-Umhang und band ihn unter dem Kinn fest; dann glättete er seine spärlichen weißen Haare mit der Hand.
    Als er nach den Leitersprossen griff, stellte er fest, wie knotig die Adern über seine Handrücken krochen, angeschwollen wie fette blaue Regenwürmer. Das Alter hatte seinen Körper zerstört, und wenn er müde war, wurde alles noch schlimmer.
    »Ausruhen kannst du, wenn du zu Hause bist«, murmelte er vor sich hin und kletterte die Leiter hinauf, eine verdammte Sprosse nach der anderen. »Hoffentlich bald.«
    Er machte sich jetzt Sorgen um Sängerling. Der Junge erschien ihm dauernd im Traum und erzählte, völlig unverständlich, von einer Türkis-Höhle und seinem Vater, dem Coyoten. Er spürte, daß Sängerling ihn brauchte, und das vermehrte seine Sorgen. Er betete, daß Sängerling bald kommen möge.
    Er trat hinaus auf das Dach des ersten Stocks. Reif lag auf dem Gras und glitzerte auf dem winterstarren Unkraut, das die Pfade und die leeren Maisfelder säumte. Die Tage waren zwar inzwischen warm, doch die Nächte waren noch schneidend kalt. Der blaue Schein hatte die Klippen nun in kräftiges Purpur getaucht. Die Kriegersäule schimmerte wie mit Amethyststaub bestreut. Vor ihm stand Trauertaube, ihr Backenhörnchen-Gesicht geschwollen, die Augen rot unterlaufen. Sie hielt ihren gelb-braunen Baumwollumhang am Hals fest.
    »Verzeih, daß ich dich störe, Ältester.« Sie schaute sich furchtsam um und suchte die weißen Dächer ab, um sich zu vergewissern, daß noch niemand aufgestanden war. »Das macht nichts, Trauertaube. Was ist geschehen?«
    »Kriecher… Er hat mich geschickt.« Tränen standen ihr in den Augen. »Lerche ist gestorben. Aber bevor seine Seele den Körper verließ, hat er das ausgespuckt.« Mit zitternden Fingern hielt sie ihm ein Stück Stoff hin, als ob es etwas Abscheuliches enthielte.
    Er öffnete den Stoff, und ein kleiner Gegenstand fiel ihm in die Hand. Er fühlte sich kalt und glatt an. Düne kniff seine weitsichtigen Augen kurz zusammen, erkannte die winzige schwarze Figur und murmelte: »O nein!«
    »Weißt du, was es ist?« fragte Trauertaube. »Kriecher wußte es nicht. Wir dachten, vielleicht -« Wann hatte er das schon einmal in seinen Händen gefühlt, erschöpft und beunruhigt? »Ja, ich weiß es. Geh wieder in Lerches Zimmer, Trauertaube, bevor uns jemand zusammen sieht. Ich bin auch gleich da. Ich muß da… einige Sachen holen. Du und Kriecher, ihr müßt beide gereinigt werden. Jetzt geh. Schnell! Ich komme gleich nach.«
    Trauertaube wich zurück. »Das hat ein Schlafmacher gemacht, nicht wahr?«
    »Ja, das fürchte ich.«
    Trauertaube nickte. »Ich sage Kriecher, daß du kommst.«
    Als sie die Leiter hinabgeklettert war und Düne sie über die Plaza laufen sah, öffnete er wieder die Faust und sah sich das furchtbare Ding an.
    Purpurnes Licht strahlte über den makellosen Jettstein und ließ jede Einzelheit der schrecklichen Kreatur erkennen. Düne bewunderte die unglaubliche Kunstfertigkeit, mit der die Schlange gestaltet war; sie lag eingerollt in einer zerbrochenen Eierschale. Die Schlange hatte eingelegte rote Korallenaugen. Wer vom Volk des Rechten Wegs kannte schon die symbolische Bedeutung? Sicher nicht mehr als fünf , der Gemachten Menschen und die höchsten Führer der Ersten Menschen. »Eine Schlange, geboren aus dem Ei eines Hahns.«
    Die Hohokam glaubten, daß schon ein Blick aus den Augen des Ungeheuers töten würde. Düne schloß die Faust, um sich selbst vor dem Blick der Schlange abzuschirmen, und suchte mit den Augen die Stadt ab. Truthähne stolzierten über die Plaza. Hunde spielten miteinander und

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