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Vorzeitsaga 08 - Das Volk der Stille

Vorzeitsaga 08 - Das Volk der Stille

Titel: Vorzeitsaga 08 - Das Volk der Stille Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gear & Gear
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Maisfaser legte den Vorhang über den Zapfen, damit die Morgensonne ins Zimmer fallen konnte.
    Sängerling hängte den Topf über den Dreifuß und wich dann hastig zurück. »Ich kriege bestimmt Krämpfe so nah beim Feuer, Seide.« Er schaute unbehaglich umher und meinte: »Ich glaube, ich setze mich an die Wand neben der Tür, da ist es kühler.«
    »Gut. Ich werde die Kakteen jetzt abkratzen und bin gleich bei dir.«
    Sängerling ging zur Wand und ließ seinen nackten Körper dort auf der festgetretenen Erde nieder. »Oh, das ist besser.«
    Maisfaser suchte sich einen großen Topf aus und setzte ihn neben den Mahlstein. Sie stellte den Pfeil neben sich, streifte das erste aufgespießte Blattpolster ab und nahm ihr Obsidian-Messer vom Gürtel. Sie mußte wegen der langen Stacheln aufpassen, denn sie enthielten ein sehr schmerzhaftes Gift. Sie stach die Klinge ins Blattpolster und hielt es über das Feuer, um die Stacheln abzubrennen; dann legte sie es auf den Mahlstein und schälte die äußere Haut ab. Das grünliche Fruchtfleisch kratzte sie in den Topf und nahm sich ein neues Blattpolster vor.
    Sängerling beobachtete sie mit glänzenden Augen. Trotz seiner Schmerzen und Selbstzweifel wirkte er merkwürdig gelassen. Er sah Maisfaser beim Kakteenschälen auf eine Weise zu, als blicke er in das geheiligte Gesicht des Sonnen-Thlatsinas. Es war ihr sehr absonderlich zumute - er schien sie nicht so sehr anzusehen, als durch sie hindurchzusehen. Blickte er wieder auf die Farbe ihrer Seele?
    Sein hüftlanges Haar trocknete allmählich und bildete einen lockeren schwarzen Kreis um seine Schultern herum. »Seide?« fragte er. »Kannst du … ich meine, ich will dich nicht ausforschen, aber kannst du mir etwas von deiner Familie erzählen? Möchtest du?«
    Ihre Hand verhielt in der Luft. »Was willst du wissen?« Sie machte das Blattpolster fertig und nahm sich ein neues.
    »Hast du Geschwister gehabt?«
    »Einen Bruder.«
    »Wie hieß er?«
    »V-Vogelkind. Wir waren gleich alt.«
    »Zwillinge also?«
    » … Ja.« Ihre Hand zitterte. Sie konzentrierte sich darauf, Stacheln abzubrennen.
    »Ich habe gehört«, sagte Sängerling mit sanfter Stimme, »daß Zwillinge sich ganz besonders nahe sind, daß sie jeweils in der Seele des anderen leben.«
    Maisfaser kratzte das Fruchtfleisch in den Topf. »Vogelkind war mein bester Freund.« »Wie ist er gestorben?«
    Der Schmerz machte sie sprachlos. Sie rang nach Luft. »Ich - ich kann nicht darüber sprechen… noch nicht.«
    Die ganze Nacht hatte sie wieder gesehen, wie Stechmücke Vogelkinds Kopf Spannerraupe zuwarf. Der Dunst von Blut, der Gestank von verbranntem Pech, der kupferartige Blutgeruch… das alles war letzte Nacht so wirklich gewesen wie in der Nacht, als es geschehen war. Kalter Haß vermischte sich in ihr mit Wut. Stechmücke und Spannerraupe. Sie werden in Krallenstadt sein. Ich werde sie finden. Sängerling spielte verlegen mit einer Haarlocke. »Tut mir leid, Seide. Ich dachte, es könnte dir helfen, dich darüber auszusprechen. Als ich ein kleiner Junge war, habe ich meine Mutter immer gebeten, mir von meinem Vater zu erzählen. Und dann erzählte sie eine Geschichte nach der anderen, weil ich sie hören mußte.«
    Maisfaser legte das Messer weg. Fruchtfleisch klebte an ihren Händen, und sie strich es sich über die Arme. Es war herrlich kühl. »Wie hieß er noch gleich?«
    »Der-Im-Himmel-Sitzt. Er war ein großer Händler, besuchte die Hohokam mehrmals in einem Sonnenkreis.«
    »Heutzutage wäre das zu gefährlich. Wenn die Hohokam ihn nicht niederschlügen, weil er die falschen Waren gebracht hat, würden ihm die Mogollon auflauern und ihm alles rauben, was er bei sich hätte.«
    Sängerling warf sich die Haarlocke über die Schulter. »Das ist wahr. Heutzutage ist niemand mehr sicher, nicht einmal ein unschuldiger Händler.«
    Maisfaser füllte die Tassen mit kochendem Wasser und sah sich unter den Pflanzen um, die von der Decke hingen. Sie sah Zweige mit Wacholderbeeren, Meldesamen und Portulak, wilde Malven, Bärenschoten, Gänsefußgewächse, Reisgras, Yucca-Schößlinge und zwischen die Dachstangen eingeschobene Sonnenblumen, die einst frisch geschnitten worden waren und nun die Köpfe hängen ließen.
    Sie pflückte sich eine Handvoll bröckelnder Blütenblätter der Sonnenblumen und gab sie /um Aufbrühen in ihre Tassen. Ein würziger Duft stieg mit dem Dampf auf. »Ich sehe keine Rotampferwurzel. Wir müssen uns mit dem Feigenbrei behelfen. Heute

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