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Vorzeitsaga 08 - Das Volk der Stille

Vorzeitsaga 08 - Das Volk der Stille

Titel: Vorzeitsaga 08 - Das Volk der Stille Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gear & Gear
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Mal sah sie die tief eingeätzten Fältchen um seine Augen herum und wie silbern sich seine Schläfen in den langen Sommern gefärbt hatten.
    »Meine - meine Wolkenspiel?«
    Sein Gesicht wurde steinern. »Ja, Nachtsonne.«
    »Sie … sie ist…«
    »Ja.« Er sprach langsam und leise, als ob sie ihn nicht hören könnte, wenn er zu schnell redete. »Genau weiß niemand, was passiert ist. Ich habe die Spuren selbst geprüft, um sicher zu sein, daß Spannerraupe nichts entgangen ist. Sie war schon fast zu Hause. Der Mann erschoß sie von hinten, mit einem unmarkierten Pfeil. Anscheinend hat er unten in der Senke auf sie gewartet. Die Krieger von Spannerraupe haben die ganze Gegend abgesucht und das Lager des Mannes gefunden, aber da war nicht mehr als eine kleine Feuerstelle und eine Mulde im Sand, wo er gelegen und zweifellos auch in der Nacht geschlafen hatte.«
    Ausdruckslos sah sie Eisenholz an, mit verschwommenem Blick, das Gesicht schmerzverzerrt. »Das ist noch nicht alles, Nachtsonne.«
    »Sag's mir.«
    Er biß die Zähne zusammen und starrte auf den Boden. »Sie hatte Leichenpulver - innen… in ihren… Wunden.«
    »Verhext?« fragte sie entsetzt. »Meine Tochter wurde verhext?«
    »Offenbar. Düne hielt in der Nacht ein Läuterungsritual ab, um Wolkenspiel und jeden, der sie vielleicht berührt hatte, zu reinigen.«
    Die Kehle war ihr wie zugeschnürt, und dahinter staute sich das Schluchzen, das sich dann Bahn brach und den ganzen Körper erschütterte. »O Eisenholz, meine Tochter… sie hat uns verlassen.« Sie streckte die Hand zu ihm aus, sie brauchte ihn wie ein erfrierendes Tier, das von der Wärme des Feuers angezogen wird, und Eisenholz legte ihr die Arme um die Schultern und drückte sie an sich. Ein warmes, herzliches Gefühl überrollte sie wie eine Welle. So lange war es her, daß ein Mann sie in seinen Armen gehalten hatte … daß er sie so gehalten hatte. Er murmelte leise etwas, etwas Tröstliches, und küßte sie aufs Haar.
    Die Sonne ging unter, und ein schwaches Dämmerlicht drang in den Raum, das die weißen Wände grau machte und dunkel auf den Blutstropfen auf Eisenholz' Mokassins glänzte. Blut von Wolkenspiel? Nachtsonne vergrub ihr Gesicht in dem weichen Gewebe auf seiner Brust und schloß die Augen. Als er sich bewegte, als wolle er sprechen, flüsterte sie heiser: »Halt mich fest.«
    Seine Arme schlössen sich fester um sie. »Keine Angst!«

28. K APITEL
    Eisenholz saß auf der untersten Stufe der Treppe, die in die Kiva der Ersten Menschen hinabführte, den Kopf in den Händen. Der Windjunge tobte draußen, ließ die Gebeine von Krallenstadt erschauern, und sein Atem fuhr Eisenholz kalt den Rücken hinunter. Sein abgetragener, weicher Umhang aus roter Baumwolle hielt die Kälte kaum ab. Ein Feuer brannte auf der anderen Seite der Kiva, hundertvier Hände weiter weg, und die Wärme von dort erreichte ihn nicht.
    Er zog seinen Umhang fester um sich und blickte in dem schönen Raum umher. Vier quadratische Säulen, rot bemalt, trugen das Dach aus Kiefernbalken, und drei Bankreihen standen gestaffelt an den runden Wänden; die untere war gelb angestrichen, die mittlere rot und die obere blau. An Feiertagen saßen dort alle dreihundert Ersten Menschen vom Canyon des Rechten Wegs. Sechsunddreißig kleine Nischen waren in die weißen Wände eingelassen, und dort standen Schalen mit Maismehl und wertvolles zeremonielles Gerät wie Tanzstäbe, Yucca-Peitschen und Antilopenhufklappern. Über jeder Nische hing eine wunderbare Thlatsina-Maske.
    Hier hätte er sich sicher fühlen müssen, umgeben von Göttern und vor sich zwei heilige Männer, Düne und Nordlicht, vom heiligen Duft der Zeder angeregt. Aber als er ihnen zuhörte, wie sie leise über den Mord an Wolkenspiel sprachen, lähmten ihn Traurigkeit und Erschöpfung.
    »Warum tut jemand so etwas?« fragte Nordlicht mit gequälter Stimme. »Ich verstehe das nicht.« Der Feuerschein färbte Nordlichts angespanntes Gesicht orangefarben und spiegelte sich in Dünes alten, trüben Augen. Beide trugen weiße Priesterhemden und kniehohe Mokassins. Düne sagte: »Töten ist eine Form des Trauerns, Nordlicht. Ein Ausdruck von großem Kummer. Um den Mörder zu finden, müssen wir die Ursache seines Schmerzes entdecken.«
    Auf beiden Seiten des Raums standen lange viereckige Fußtrommeln - hohle gemauerte Gebilde, fünfzehn Hände lang und acht breit, weiß übermalt und dann mit Rohleder bezogen. Während der Feierlichkeiten saßen die Musiker

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