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Vorzeitsaga 08 - Das Volk der Stille

Vorzeitsaga 08 - Das Volk der Stille

Titel: Vorzeitsaga 08 - Das Volk der Stille Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gear & Gear
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nicht.
    Während der letzten beiden Sommer war Wolkenspiel die beste Freundin und engste Vertraute von Nachtsonne geworden.
    Zwar hatte Nachtsonne viel Macht und verfügte über beträchtlichen Reichtum, aber ihre Seele war fast ihr ganzes Leben lang ohne Inhalt geblieben. In ihr war eine schwarze Leere, wie bei allen Frauen ihrer Familie. Ihre Mutter und ältere Schwester hatten beide von diesem Dunkel gesprochen, als wäre es ein unheimlicher Liebhaber, ein Gespenst, dessen schattenhafte Arme sie oft umschlangen, bis sie sich so unendlich einsam fühlten, daß sie sterben wollten. Als das tägliche Elend ihres Ehelebens unerträglich wurde, verstand Nachtsonne - und fürchtete -, was sie erfahren hatten, denn die Verzweiflung verwandelte sie in eine gewaltsame Außenseiterin.
    Nachtsonne war eine hochgewachsene, gertenschlanke Frau von vierundvierzig Sommern, und graue Strähnen schimmerten in ihrem schwarzen Haar, das über ihr dreieckiges Gesicht wehte. Sie wischte das Haar weg und hob die spitze Nase empor, um die Luft einzuziehen. Rauch von Zedernholz schwebte auf dem Wind. Ihr schwarzes Kleid schlug ihr um die roten Leggings - ein angenehmes Geräusch.
    Als sie auf dem Pfad einer Biegung folgte, sah sie Hirschkuhdorf. Der quadratische Bau war unter einem überhängenden Canyon-Fels angelegt worden. Gleich dahinter verflachte sich der Canyon; die Wände sanken zu beifußbewachsenen Niederungen herab. Nur wenige Familien wagten es, in so abgelegenen Gegenden zu hausen. Man mußte schon sehr tapfer sein, um diese Raubüberfälle zu erdulden und zu überleben, aber die Leute vom Coyote-Clan waren immer schon tapfer gewesen. Sie hatten hier jahrhundertelang ausgehalten, allerdings waren jetzt nur noch zehn Mitglieder übrig. Aus eben diesem Grund besuchte Nachtsonne das Dorf alle vier Monde, immer zu Vollmond. Sie fürchtete, daß das kleine Dorf vielleicht nicht mehr lange existierte. Und obwohl sie Süßwasser, die ehrwürdige Mutter des Dorfes, nicht mochte, liebte sie die fünf Sklaven, die sie immer so liebevoll begrüßten.
    »Mutter«, rief Wolkenspiel. »Da kommt jemand.« »Wo?« Nachtsonne hob die Hand gegen die schrägstehende Sonne, sah aber nichts.
    »Warte. Er ist da unten am Fuß des Hangs um die Ecke verschwunden. Du wirst ihn gleich sehen.« Tiefe Stille herrschte über der Wüste. Vögel saßen aufgeplustert auf stachligen Kaktusarmen oder versteckten sich unter Felsüberhängen. Geräuschlos liefen Coyoten durch die Gräben auf der Jagd nach Mäusen und Kaninchen. Adler kreisten am blauen Himmel.
    Ein alter Mann tauchte oben auf und watschelte auf sie zu. Er trug einen zerschlissenen grauen Kittel und abgetragene Mokassins. Als er sie erreichte, murmelte er: »Mögen die heiligen Thlatsinas an diesem Tag über dich wachen.«
    »Und über dich, Ältester.«
    Er neigte den weißen Kopf und ging weiter. Nachtsonne folgte dem Pfad auf die kleine Anhöhe hinauf. Als sie oben ankam, keuchte sie. Sie löste den Wasserkrug von ihrem Gürtel, nahm den Keramikdeckel ab und trank in vollen Zügen, jeder Schluck war kühl und frisch; stumm dankte sie den Thlatsinas.
    Wasser war das kostbarste Gut im Wüstenhochland. Man füllte die Krüge mit Wasser aus Gruben im Fels oder aus größeren Mulden auf der Canyon-Sohle, in denen sich Regen- oder Schmelzwasser gesammelt hatte. In der Sommerhitze, wenn nirgends mehr trinkbares Wasser zu finden war, hob man entlang der Abflußgräben Löcher aus. Manchmal füllten sie sich mit Wasser, manchmal blieben sie aber auch trocken, nur mit Staub gefüllt und so bar allen Wassers, wie die Durstigen bar aller Hoffnung waren.
    Nachtsonne befestigte den Wasserkrug wieder am Gürtel und schaute zurück, den Hang hinunter. Wolkenspiel war stehengeblieben, um mit dem alten Mann zu reden. Der Windjunge bauschte ihr blaues Kleid auf. Sie hob ihre Stimme, die weich und melodisch klang. Der Mann gab Antwort, aber Nachtsonne fing nur einzelne Wörter auf.
    Wolkenspiel lächelte über eine Bemerkung von ihm. Sie war eine hübsche junge Frau mit braunen Augen und rotbrauner Haut. Vier schwarze Spiralen waren auf ihr spitzes Kinn tätowiert - das Kennzeichen aller Frauen ihrer Familie. Auch Nachtsonne hatte es auf ihrem Kinn. Wolkenspiel klopfte dem alten Mann auf die Schulter und nahm ihr Bündel vom Rücken. Sie kramte darin herum und reichte ihm etwas; dann lief sie zu Nachtsonne zurück und schwang sich das Bündel über. Sie sagte: »Er ist aus Gelbfalterdorf im Süden. Er erzählt,

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