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Vorzeitsaga 08 - Das Volk der Stille

Vorzeitsaga 08 - Das Volk der Stille

Titel: Vorzeitsaga 08 - Das Volk der Stille Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gear & Gear
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ausdrückte.
    Nachtsonne duckte sich und trat ein. Die überhängende Fels-Plattform diente als Dach; es war gerade so hoch, daß man aufrecht stehen konnte. Die Dorfbewohner mischten ihren Lehm mit Sand und Erde, bevor sie damit die Fassade verputzten, mit dem Erfolg, daß das Dorf fast unsichtbar wurde. Abgesehen von drei kleinen Fenstern und einer einzigen Tür schien es ein Teil der goldenen Canyonwand.
    Nachtsonne blinzelte im dämmrigen Licht. Ein Feuer prasselte in der Grube mitten im Raum. Die Malereien an den Wänden sprangen sie förmlich an. Die Thlatsinas, halb Tier, halb Mensch, tanzten durch das Zimmer. Der Weiße Wolf starrte ihr direkt ins Auge, die Ohren gespitzt, eine Rassel in einer Hand, einen Tanzstock in der anderen. Mit gefletschten Zähnen warnte er alle, die mit bösen Gedanken einzutreten wagten, keinen Schritt weiter zu tun, bevor sie nicht ihre Herzen gereinigt hatten.
    Nachtsonne sog die rauchige Luft tief ein. Ein blauer Dunst glitt über die Decke zum Fenster, wo er langsam hinaussickerte. Neben der Tür, links von Nachtsonne standen ein Wasserkrug, Tontassen und Töpfe mit getrocknetem Fleisch und Maismehl. Wacholderholz war zu ihrer Rechten an der Wand aufgestapelt. Und da war auch … eine alte Frau. Sie kauerte auf einer gefalteten Decke, das graue Haar durcheinander, die Augen dunkel und unheilverkündend.
    »Süßwasser? Wie geht es dir?«
    »Es ging mir schon besser.« Schweiß hatte ihr graues Haar zu winzigen Locken über ihrer zerfurchten Stirn zusammengeringelt. Die schwarzen Augen glitzerten wie Obsidianperlen. Als Ehrwürdige Mutter war sie Eigentümerin der Ländereien und fast aller Besitztümer des Dorfs, und von den fünf Sklaven gehörten ihr drei.
    An der Nordwand, direkt vor ihr, lag Sternjägerin auf Binsenmatten; eine rote Decke wärmte ihren geschwollenen Leib. In ihrem aufgedunsenen Gesicht waren ihre Augen tief in zwei blauen Ringen eingesunken. Schweißnasses schwarzes Haar lag rings um ihren Kopf.
    Nachtsonne lehnte sich aus der Tür und rief: »Wolkenspiel, wo ist mein Bündel?«
    »O Mutter, verzeih mir«, bat ihre Tochter und reichte ihr das abgestreifte Bündel. Sie und Milbe hatten leise miteinander geredet. Milbe machte ein sehr ernstes Gesicht. »Ich hatte mit Milbe gesprochen, und dabei -«
    »Tu, was ich sage, und zwar schnell. Hol einen Krug und füll ihn mit Wasser. Die Hälfte davon schüttest du in einen Topf und bringst es zum Kochen, und dann holst du mir frische Yucca-Wurzeln. Es ist mir gleich, wie weit du gehen mußt, um welche zu finden, aber tu es, und tu es sofort.« »Ja, Mutter«, sagte Wolkenspiel und rannte zu Milbe und Spottdrossel zurück. Sie wiederholte die Anweisungen. Alle drei liefen in verschiedenen Richtungen davon.
    Nachtsonne trat wieder ins Zimmer, warf ihren Umhang auf den Boden und legte ihr Bündel neben dem Wasserkrug und den Tassen ab. Sie schnürte das Bündel auf, zog eine Tüte mit getrockneten Beifußblättern hervor, schüttete ein Quentchen in eine Tontasse und goß Wasser darüber. Sie setzte die Tasse zum Wärmen nahe ans Feuer, und dabei machte Sternjägerin die Augen auf. »Hallo, Gesegnete Nachtsonne.« Ein Lächeln erhellte ihr Gesicht.
    »Hallo, Sternjägerin. Ich wünschte, du hättest mir Bescheid gesagt. Ich hätte vor Morgengrauen hiersein können.«
    »Das Kinderkriegen dauert bei mir immer so lang, und ich wußte ja, daß du heute irgendwann kommst. Du kommst nie zu spät.«
    »Außerdem«, mischte sich jetzt die alte Süßwasser mit kratziger Stimme ein, »wirst du gar nicht gebraucht. Das Kind wird sterben. Es kommt viel zu früh auf die Welt. Es sollte sterben. Wenn's am Leben bleibt, wird's nur ein schwacher und nutzloser Sklave.«
    Nachtsonne starrte die alte Frau finster an. Süßwasser wußte besser als jede andere, wie sehr Sternjägerin dieses ungeborene Kind liebte. Schon im ersten Mond, als sie ihre Schwangerschaft erkannt hatte, war sie überzeugt gewesen, daß es ein Junge würde, ihr erster Sohn. Sie hatte Decken und Sachen zum Anziehen gewoben, Kaninchenfelle gefärbt und winzige Mokassins genäht. Vier Monde zuvor hatte Weißwedelhirsch, Sternjägerins Mann, Nachtsonne den kleinen Bogen und die Pfeile gezeigt, die er für seinen Sohn geschnitzt hatte.
    Nachtsonne kniete sich neben Sternjägerin und fühlte über ihre fiebrigen Wangen und ihre Stirn. Ihre kühlen Hände taten Sternjägerin wohl.. Der Schein des Feuers tanzte über ihr Gesicht. »Vielleicht stirbt das Kind«, sagte

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