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Vorzeitsaga 08 - Das Volk der Stille

Vorzeitsaga 08 - Das Volk der Stille

Titel: Vorzeitsaga 08 - Das Volk der Stille Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gear & Gear
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die Mogollon hätten es vor drei Monden überfallen.«
    Nachtsonne sah dem Alten nach. Daß er allein marschierte und so abgerissen aussah, verriet ihr eine Menge. »Ist seine Familie umgekommen?«
    Wolkenspiel nickte. »Er meint, er hätte eine Urenkelin in den Dörfern der Grünen Mesa. Dort will er hin. Ich hab ihm etwas getrocknetes Wildfleisch mitgegeben.«
    Nachtsonne strich ihr übers Haar. »Ich danke dir. Ich hätte selbst fragen sollen. Das ist ein langer Weg für so einen alten Mann.«
    »Er kann nirgendwo sonst hin, Mutter. Ich bete, daß seine Verwandten in der Grünen Mesa noch am Leben sind.«
    Aber Nachtsonne wollte nicht trauriger Stimmung sein, nicht heute. Denn das würde sie an ihren verabscheuungswürdigen Sohn Schlangenhaupt erinnern oder - noch schlimmer - an ihren Ehemann Krähenbart. An dem Morgen, als sie und Wolkenspiel weggegangen waren, hatte er sie wieder gequält und der Untreue mit einem seiner Sklaven beschuldigt. Sie verschob das Bündel auf ihrem Rücken und stieß den Atem heftig aus. Wenn Krähenbart nur den Verdacht hatte, sie hätte einem anderen Mann zugelächelt, bestrafte er sie mit Schweigen. Er konnte sie nicht hinauswerfen, denn sie war die Besitzerin von allem, seiner Zimmer, Ländereien, sogar seiner Kinder. Aber er konnte dafür sorgen, daß sie sich wie eine Ausgestoßene fühlte - und das tat er mit großem Geschick.
    Als sie den Hang hinunterschritt, hörte sie jemanden mit greller Stimme den Auszugsgesang der Mogollon singen, das heilige Lied von der Zerstörung der zweiten Unterwelt durch die HeldenZwillinge.
    Sie zogen aus,
    jetzt gingen sie, zermalmten, zertraten, zerstörten sie,
    und brachten alle Menschen um,
    und alle sind jetzt tot. jetzt weinen sie,
    sie weinen und weinen…
    Eine scharfe Stimme durchschnitt die folgende Stille. »Hör jetzt auf mit der Singerei! Hörst du mich, Spottdrossel?«
    »Ja, Schwester«, war die mürrische Antwort, die der Wind hertrug.
    Nachtsonne sah das sechs Sommer alte Sklavenmädchen hinter einem Felsblock hervorkommen; der Stock, den es hinter sich herzog, zeichnete Wellenlinien in den Sand. Jetzt sah das Mädchen Nachtsonne und Wolkenspiel, es sperrte den Mund auf, so daß man das Fehlen der Vorderzähne sah, und schrie: »Milbe! Sie sind da!«
    »Wer?«
    »Die Gesegnete Nachtsonne und ihre Tochter. Genau wie Mutter gesagt hat.« Spottdrossel warf den Stock weg und raste den Pfad hinauf, so daß ihr das braune Kleid um die Beine flog. Sie schlang ihre Arme so heftig um Nachtsonnes Hüften, daß diese ins Wanken kam. »Mutter hat gesagt, daß ihr kommt. Gestern abend hat sie's gesagt. Sie wird so froh sein, euch zu sehen. Sie bekommt das Kind.« »Das Kind?« Nachtsonne fühlte sich schwach. »Aber das sollte doch erst… erst in zwei Monden kommen.«
    »Ja … aber sie bekommt's jetzt.«
    Nachtsonne befreite sich aus der Umarmung und eilte den sandigen Hang hinunter. Milbe trat aus dem Haus. Sie war sechzehn Sommer alt und dicklich; sie füllte ihr verblichenes grünes Kleid prall aus. Schwarze Zöpfe waren in der Nackenbeuge zusammengebunden. »Dem Wolf sei Dank«, sagte sie. »Ich kann euch nicht sagen, wie froh ich bin.«
    »Geht's deiner Mutter gut?« fragte Nachtsonne auf dem Gang zur niedrigen Tür. Die ganze Behausung hatte nur acht aneinandergrenzende Räume, darunter einen Speicher und Lagerkammern, die wie menschliche Schwalbennester in den Felsüberhang hineingebaut waren. Wo der Verputz innen abgefallen war, konnte man die Sandsteinschichten in der Rückwand erkennen. Zwei Bilder vom Buckligen Flötenspieler, einer ein Mann, der andere eine Frau, schmückten den Bau; die zwei Symbole der Fruchtbarkeit waren ein ironischer Beitrag zu der Vernachlässigung von Feldern, Menschen und Räumlichkeiten.
    Eine eingezäunte Laubhütte stand auf der Fläche, die als Plaza diente. Maishülsen und Wacholderrinde raschelten im Wind. Vier junge Frauen saßen unter der überhängenden Behausung und mahlten Mais. Rechts von der Plaza hatte man eine kleine Kiva in den Boden eingelassen; um die zwei Leiterschenkel herum, die durch den Einlaß herausragten, war die Dachabdeckung eingesunken. Sanfte männliche Stimmen drangen nach außen; mit vertrauten Gesängen baten die Männer um Gesundheit und Wohlergehen, und von der Flötenspielerin erflehten sie milde Wehen und eine glückliche Geburt. »Ich weiß nicht genau.« Milbes Schultern fielen herab, und diese Antwort bestätigte die Sorge, die sich in ihrem breiten Gesicht

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