Vorzeitsaga 08 - Das Volk der Stille
Nachtsonne geradeheraus, »aber ich werde versuchen, es zu retten. Wann haben die Wehen begonnen?«
»Gestern … abend. Spät«, antwortete Sternjägerin. »Sie ist gestern gefallen«, sagte Süßwasser. »War ein schlimmer Fall. Die Götter haben ihr ein Bein gestellt. Es war Dämmerlicht, und sie wollte Schmelzwasser von der Zisterne im Sandstein holen. Sie stolperte über nichts! Und fiel dann mit dem Gesicht auf den Stein. Kein Wunder, daß sie heute die Geburt hat. Die Götter haben gewollt, daß sie ihr Kind verliert. Es hat wahrscheinlich einen ganzen Klumpen Erde im Kopf.«
Schlechtigkeit, Alpträume und böse Taten kamen von einem winzigen Staubkorn, das die Spinnenfrau einem Kind kurz vor der Geburt im Hinterkopf einsetzte; dort blieb es für immer.
»Hast du die Lage des Kindes geprüft?« fragte Nachtsonne. »Warum denn? Je eher es stirbt, um so besser«, sagte Süßwasser. »Meine Herrin«, sagte Sternjägerin, »hat nicht mal meinen Töchtern erlaubt, mich zu berühren. Ich war sehr allein in dieser Nacht.«
»Also ich werde dich jedenfalls berühren. Ich will mal sehen, wie das Kind liegt. Zieh die Knie an.« Nachtsonne zog ihr die rote Decke von dem angeschwollenen Leib und untersuchte sie behutsam. »Es hat sich nicht gedreht. Der Kopf ist nicht unten«, sagte sie und versuchte, sich ihre Besorgnis nicht anmerken zu lassen.
»Ich weiß.« Sternjägerin faßte nach Nachtsonnes Arm und zog schwach daran. »Es tut mir leid. Es ist meine Schuld.«
»Niemand hat schuld. Es war Zufall, daß du gestürzt bist.« Süßwasser sagte: »Die Götter haben das getan.« »Meine Götter sind nicht so grausam«, entgegnete Nachtsonne. »Tut mir leid, wenn deine es sind.«
Süßwassers alt gewordene Augen verengten sich zu Schlitzen. »Willst du damit sagen, daß du nicht glaubst -«
»Bitte«, unterbrach sie Sternjägerin und zog Nachtsonne am Arm. »Sag mir die Wahrheit. Ich bin so müde. Wird mein Kind sterben?«
»Nicht, wenn ich's verhindern kann«, sagte Nachtsonne und drückte Sternjägerin fest die Hand. »Hör auf, an so was zu denken. Du mußt jetzt stark sein.«
»Ich werd's versuchen, aber ich …« Sie bäumte sich auf. Nachtsonne sah zu und wartete. Als der Krampf nachließ, befahl sie: »Süßwasser, komm bitte her. Nimm ihren linken Arm. Ich nehme den rechten.« Zu Sternjägerin gewandt: »Die Öffnung ist jetzt groß genug, Cousine. Es ist Zeit, daß du in die Gebärposition kommst.« Süßwasser kreuzte die Arme; sie weigerte sich.
Nachtsonne fauchte: »Steht auf, verdammt, bevor ich -«
»Du befiehlst mir nichts!« schrie Süßwasser. »Nicht in diesem Dorf. Hier gilt dein Rang gar nichts! Was du hier machst, ist verboten! Wenn ein Kind zu früh kommt, soll man nicht helfen. Wir wollen nicht, daß das Kind lebt.«
Nachtsonne warf ihr einen drohenden Blick zu: Mit dir rechne ich später noch ab!
Sternjägerin hielt sich krampfhaft am Arm von Nachtsonne fest; sie keuchte und bemühte sich hochzukommen. Ihre Beine zitterten.
»Sitz nur aufrecht, Sternjägerin, das genügt im Augenblick. Wenn die nächste Wehe kommt, stütze ich dich, damit du kauern kannst, das macht es dir leichter. Mutter Erde wird ziehen, während du preßt.« Sternjägerin lächelte erschöpft. »Ja, ist gut.«
Wolkenspiel kam geduckt durch die Tür, und Milbe und Spottdrossel folgten. »Ich hab die YuccaWurzeln dabei, Mutter. Ich habe sie zuerst draußen in Scheiben geschnitten, und Milbe hat den Kessel auf den Dreifuß gestellt.«
»Gut. Setzt den Dreifuß übers Feuer und wirf dann die Wurzelscheiben hinein. Wenn die Lauge über den Rand quillt, nimm den Kessel vom Feuer und tauche mehrere Stoffstreifen ein.« »Ja, Mutter.«
Wolkenspiel warf die Wurzeln hinein, während Milbe den Kessel über den niedrigen Flammen zurecht hängte. Spottdrossel stand in der Tür und lutschte an einem Finger. Ihre sanft blickenden Augen beobachteten jede Bewegung ihrer Mutter.
Sternjägerin lächelte ihre jüngste Tochter an. »Alles ist gut, Spottdrossel«, sagte sie. »Die Gesegnete Nachtsonne ist bei mir. Du brauchst dir keine Sorgen mehr zu machen.«
»Aber ich hörte die Herrin schreien. Du wirst doch nicht… sterben?« Ihre Lippen zitterten. Sternjägerin blickte auf Nachtsonne, die großen Augen voller Furcht, aber sie sagte: »Nein, ich werde nicht sterben.« Sie biß sich auf die Lippen, als die nächste Wehe kam. Der Schmerz verzerrte ihr Gesicht.
»Wolkenspiel, nimm ihren anderen Arm. Hilf ihr
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