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Vorzeitsaga 08 - Das Volk der Stille

Vorzeitsaga 08 - Das Volk der Stille

Titel: Vorzeitsaga 08 - Das Volk der Stille Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gear & Gear
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anschauten. Bis heute hatte Maisfaser gedacht, daß sie Vogelkind mehr liebten, einfach weil er liebenswerter war. Ihr Bruder gehorchte ihnen bedingungslos, während es für sie Ehrensache war, sich auszudenken, wie sie Anweisungen, die ihr unangenehm waren, folgenlos mißachten konnte. Die Eltern hatten ihr gesagt, sie solle nicht kämpfen. Also focht sie unauffällig gegen ihre gleichrangigen Gegnerinnen einen Kampf nach dem anderen aus. Sie mußte besser schießen und besser jagen als alle Gleichaltrigen im Dorf, und besonders besser als die jungen Männer. Wie oft hatte ihre Mutter ärgerlich gescherzt, daß ein wilder Schuß von Wieselblut in ihren Adern kreiste. Doch wenn Vogelkind etwas Unrechtes tat, scherzten sie niemals. Sie bestraften ihn. Weil er wirklich ihr Sohn war und es eine Rolle spielte?
    Durchs Fenster erhaschten sie einen Blick auf ihre Mutter, die geduckt aus der Tür trat, und hörten sie rufen: »Vogelkind? Maisfaser? Wo seid ihr?«
    Sie sprangen auf und rannten ins Haus.

8. K APITEL
    Als die Winterkälte zunahm, wurde das Licht der Sonne schwach und fahl; durch die ziehenden Wolken hindurch fiel es schräg rötlich-golden in den Canyon.
    Nachtsonne zog den schwarzweißen Baumwollumhang mit beiden Händen um sich und stieg den gewundenen Hirschpfad hinab, der westlich am Schwemmland der Leute des Rechten Wegs vorbeiführte. Kleine Gärten lagen verstreut in der Niederung, mit erfroenen Bohnen- und Kürbisranken sowie mit Maisstengeln und winden unreifen Maiskolben. Sie hatten einen sehr nassen Frühling und Herbst gehabt, aber die Kälte war früher gekommen als sonst. Viele Feldfrüchte waren auf dem Halm erfroren. Für kleinere Dörfer War der Winter sehr hart gewesen. Nach einem weiteren Mond, wenn die letzten Vorräte aufgebraucht waren, würden die Überfälle zunehmen. Wie friedlich Männer und Frauen in ihrem Herzen auch sein mochten - wenn Kinder vor Hunger weinten, griffen sie zu den Waffen.
    Sie schüttelte den Kopf und sandte ein leises Gebet zur Spinnenfrau mit der Bitte um einen frühen Frühling. Gegenseitige Gewalt würde schon vermieden, wenn die Leute genügend Knollenfrüchte und Jungpflanzen sammeln könnten.
    Hinter ihr klapperten die Schritte ihrer Tochter, und Nachtsonne drehte sich nach Wolkenspiel um. Zwar hatte sie erst neunzehn Sommer erlebt, aber schon zeigten sich graue Strähnen an den Schläfen, welche ihre zwei langen Zöpfe noch betonten. Sie hatte kein leichtes Leben gehabt. Wolkenspiel hatte vier Kinder geboren und alle vier verloren. Sie waren zusammen mit ihrem geliebten Mann, Maisnarbe, gestorben, nach einer seltsamen, verzehrenden Krankheit, die vor zwei Sommern im Canyon gewütet hatte. Nachtsonne drängte sie fortwährend, wieder zu heiraten, aber Wolkenspiel wandte ein, daß sie noch nicht soweit sei, jedenfalls jetzt noch nicht. Aber Nachtsonnes Tochter behauptete auch, daß es durchaus Freier gebe. Als Nachtsonne ernsthaft gesagt hatte: »Hoffentlich nicht Spannerraupe«, hatte Wolkenspiel nur geantwortet: »Mutter, er ist mein Freund und nicht mehr. Obwohl ich ihn liebe. Er ist immer lieb zu mir gewesen, seit ich klein war.« Aber Nachtsonne war dennoch beunruhigt.
    Mit gerunzelter Stirn erinnerte sie sich an den Streit, den Wolkenspiel und Spannerraupe an dem Morgen gehabt hatten, als sie mit ihrer Tochter zu dieser Reise aufbrechen wollte. Bei dem Geschrei vor den Wällen war halb Krallenstadt herausgelaufen. Nachtsonne hatte wie betäubt verfolgt, wie die Auseinandersetzung fast in Handgreiflichkeiten ausartete, bis Wolkenspiel den Sieg davontrug. Sie hatte Spannerraupe rückwärts gestoßen, so daß er über einen Stein stolperte und zu Boden fiel. Als die Zuschauer daraufhin laut lachten, war Wolkenspiel weggestürmt. Danach hatte sie zwei Tage lang, fast schwermütig, kein Wort mehr gesagt. Erst gestern nacht hatte sich ihre Stimmung gebessert, als sie um das Lagerfeuer herum gesessen und von alten Zeiten gesprochen hatten, als sie beide noch glücklich gewesen waren. Warum hatten sie gestritten?
    Vor sechs Sommern hatte Spannerraupe um Wolkenspiel angehalten, aber weder Nachtsonne noch Krähenbart hatten zugestimmt. Seit dem Tod ihrer Angehörigen war Wolkenspiel sehr einsam gewesen, hatte Nachtsonne auf ihren Heilungsreisen begleitet und die Bündel mit den heiligen Kräutern, Wurzeln und Geräten getragen. Hatte sich der Streit um die »anderen Freier« gedreht? Spannerraupe war für seine Eifersucht bekannt.
    O verehrte Ahnen, hoffentlich

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