Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Vorzeitsaga 08 - Das Volk der Stille

Vorzeitsaga 08 - Das Volk der Stille

Titel: Vorzeitsaga 08 - Das Volk der Stille Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gear & Gear
Vom Netzwerk:
Gebrüll?«
    Bullenmaul deutete mit einer Handbewegung auf die Rotte der Sklavenkinder. »Eines von diesen Bälgern ist ein Dieb! Ich habe meine Bündel da hinten an der Wand hingestellt, wie immer, und ein Bündel fehlt. Es ist voll mit wertvollen Hohokam-Handelswaren. Und mit gefährlichen Sachen - mit Macht-Amuletten und Fetischen und -«
    »Gut, gut!« Die Kinder waren zwischen drei und vierzehn Sommern alt. Grauholz beugte sich vor und fragte sie streng: »Wer hat das Bündel genommen? Sagt es mir jetzt, sonst bekommt ihr alle die Peitsche zu spüren.« Er schwenkte sie vor ihnen.
    Das drei Sommer alte Mädchen steckte einen Finger in den Mund und fing an zu weinen. Sie schrie: »Ich wär's nicht. Ich schwör’s.«
    »Na schön, wer wär's? Sagt's jetzt sofort, sonst…«
    Schlangenhaupt wurde jetzt abgelenkt; seine Mutter kam aus dem Zimmer seines Vaters im fünften Stock und stieg die Leiter zum vierten Stock hinab. Müdigkeit lastete auf der hochgewachsenen und weidenschlanken Frau wie ein Umhang aus Granit. Sie bewegte sich langsam. Schlangenhaupt hob eine Braue. Die Augen seiner Mutter funkelten.
    Aber schließlich war sie gerade einen Zeitfinger lang mit Eisenholz allein gewesen. Schlangenhaupt schürzte die Lippen voller Abscheu. Als Junge war er ihr gefolgt, hatte ihr nachgespürt wie ein Wolf auf einer blutigen Spur, und so wußte er eine ganze Menge über ihr »geheimes« Leben.
    Der Papagei hinter ihm schnarrte leise und knackte eine weitere Piniennuß; die Schalenreste lagen überall auf dem Boden.
    Schlangenhaupts Blick schweifte zur Südseite der Plaza, wo der Kriegshäuptling immer auf dem Dach neben dem Einlaß Wache hielt. Vor siebzehn Sommern, als sein Vater gerade wegen Handelsgeschäften zu den Hohokam aufgebrochen war, sah Schlangenhaupt seine Mutter oft dort. Sie wartete stets, bis die Stadt schlief, schlich dann aus ihren Zimmern und setzte sich neben Eisenholz, um mit ihm zu reden, um ihn zu berühren.
    »So hat es jedenfalls angefangen«, murmelte Schlangenhaupt vor sich hin.
    Allmählich waren diese Treffen intimer geworden. Als Kriegshäuptling hatte Eisenholz die Pflicht, Nachtsonne einen Tag bevor er Krallenstadt verließ, darüber zu informieren, wohin er ging und für wie lange, für den Fall einer Krise. Aber wohin Eisenholz auch ging, zu den Meldetürmen, um Nachrichten an Nachbardörfer weiterzugeben, oder zu fernen Antilopenfallen, um sie zu überprüfen, immer fand er dort Nachtsonne, die auf ihn wartete.
    Als Schlangenhaupt acht Sommer alt war, hatte er dieses rätselvolle Gebaren fasziniert verfolgt. Seine Mutter war immer schön angezogen und brach vor Morgengrauen auf, und sie glaubte im Ernst, daß niemand ihre Abwesenheit bemerkte oder sie mit der Abwesenheit Eisenholz' in Verbindung brachte. »Was warst du für eine Närrin, Mutter«, flüsterte er. »Nicht nur in dieser Sache. In so vielen Dingen! Und allmählich hab ich gelernt, dich zu hassen, weil du meinen Vater betrogen hast. Ich wünschte nur -«
    Plötzlich verstummten die Vögel. Die Hunde auf der Plaza jaulten kurz auf und rannten mit eingezogenem Schwanz davon… Dann begann mit einem tiefen Grollen das Beben. Schlangenhaupt stützte sich im Türrahmen ab, um nicht zu schwanken, und lauschte dem Ächzen und Krachen der Dachbalken. Steine lösten sich aus der Canyon-Wand, stürzten herunter und rollten über den Boden. Schrille Schreie und Angstgebrüll wurden laut. Das Beben dauerte nur ein paar Augenblicke, aber als es vorüber war, keuchte Schlangenhaupt, als wäre er durch den Canyon und zurück gelaufen. Die Knie zitterten ihm.
    Nachtsonne eilte zu ihrem Zimmer und verschwand. Schlangenhaupt starrte ihr nach. »Hast du den Zorn unserer Ahnen gespürt, Mutter?« flüsterte er. »Sie haben dir nur einen Vorgeschmack auf das gegeben, was geschieht, wenn ich einmal den Mund aufmache und sage, was ich als Junge gesehen habe.«
    Er richtete sich auf, ging zum Papageienkäfig und klopfte an die Stangen, bis der Vogel mit den Flügeln schlug und kreischte. Schlangenhaupt lächelte und begab sich zu seinem Lager. Er legte sich auf den Rücken und versuchte zu ruhen.
    Die Ruhe brauchte er; denn im Augenblick, in dem sein Vater starb, würde Schlangenhaupt sein Amt übernehmen - als Gesegnete Sonne des Volks des Rechten Wegs. Und dann würde sein Leben erst wirklich beginnen.

11. K APITEL
    Maisfaser stand im Morgenlicht still vor ihrem Haus, während die Mutter ihr einen rot-weiß gestreiften Umhang über die

Weitere Kostenlose Bücher