Vorzeitsaga 08 - Das Volk der Stille
an der getünchten Wand des Häuptlingszimmers und schloß die Augen. Schon die Vorstellung vom Schlafen half ihm. Die Spannung in seinen Muskeln ließ nach; er konnte endlich tief einatmen. Der Bisonumhang wärmte seinen Rumpf, aber das lange schwarze Hemd und die Leggings hielten die Kälte nicht ab.
Sandalen knarrten auf dem Steinboden. Eisenholz wandte sich nach links und sah Nordlicht über der schlafenden Nachtsonne stehen. Sie lag unter einer einzigen schwarzen Decke mit eingewebten weißen Rauten an den Ecken und sah schmal und zerbrechlich aus; die Glut der Feuerbecken warf rotes Licht über ihr schönes, friedliches Gesicht.
Nordlicht legte die Decke über ihren freiliegenden rechten Arm und sing dann zu seinen Matten in der südwestlichen Ecke. Sein weißes Priesterhemd schlug ihm um die Beine, als er seine rote Decke aufhob und sie sich um die Schultern schwang. Er warf Eisenholz einen teilnahmsvollen Blick zu, bevor er sich hinsetzte und die Stirn auf die Knie legte, um zu ruhen. Hüftlanges Haar hing an ihm herunter.
Der große Priester durfte schlafen, doch der große Krieger mußte Wache halten.
Eisenholz' Blick glitt über die wunderbar gemalten Thlatsinas auf den Wänden. Sie waren überlebensgroß, trugen leuchtende Federmasken und hielten Rasseln in den Händen. Schwarze Donnerwolken in vier Schichten schmückten ihre Brust, und roter Regen bildete Streifen auf ihren Kitteln. Die Feuerbecken, hereingebracht, um den sterbenden Häuptling zu wärmen, entfachten eine Hitze, in der die Götter sich schwankend verzerrten… Tanzten. Nur andeutungsweise, aber Eisenholz sah es. Die Thlatsinas schienen sich zu drehen, die Kittel bauschten sich, die heiligen Füße stampften den Rhythmus, aus dem das Universum hervorgegangen war. Wenn er angestrengt lauschte, konnte er sogar ihre Stimmen hören…
Eisenholz schüttelte sich. Das Verlangen nach Schlaf trieb ihn an die Grenzen seiner Seele, winkte ihm wie die Arme einer Geliebten.
Er stieß sich von der Wand ab und ging zur niedrigen Tür in der Ecke. Bevor er eingeschlafen war, hatte Krähenbart angeordnet, daß der Vorhang offenbliebe, so daß seine Seele im Canyon umherwandern könnte, um Abschied zu nehmen. Eisenholz kauerte sich im Eingang nieder und erschauerte in der eisigen Brise.
Es hatte leicht geschneit. Die Dächer und die Plaza der weitläufigen Stadt schimmerten silbern. Krallenstadt bestand aus achthundert Zimmern, die allerdings zumeist als Lagerräume dienten. Krähenbart und Nachtsonne trachteten immer danach, für den Fall von Mißernten einen Dreijahresvorrat eingelagert zu haben.
Viele andere Räume dienten während der Sonnenwend-Feiern als Unterkünfte für Gäste, denn dann schwoll die Bewohnerzahl auf Zehntausende an. Einige Zimmer waren auch für Geister vorgesehen. Krallenstadt stand wie andere größere Städte im Canyon auf geheiligtem Boden, und Clan-Älteste und Priester aus anderen fernen Orten wollten hier begraben werden, um den Göttern nahe zu sein.
Aus diesen Gepflogenheiten ergab sich ein dritter Weg zum Jenseits. Die Gemachten Menschen folgten dem Nordweg zum geheiligten Sipapu, um in den Unterwelten mit ihren Ahnen zu leben, während die Ersten Menschen selbst Thlatsinas wurden; aber die Ältesten der Gemachten Menschen, die es sich leisten konnten, in Krallenstadt begraben zu werden, lebten weiter in dieser Welt - ihre Seelen wanderten umher, mischten sich unter die anderen Geister und sprachen mit all den Göttern, die hier regelmäßig zu Besuch kamen.
Eisenholz schüttelte den Kopf. Er konnte sich kein trostloseres jenseitiges Leben vorstellen. Worüber wollte denn ein Mensch mit einem Gott sprechen? Nach Tagen gingen ihm doch schon die Gesprächsthemen aus, und dann müßte er in alle Ewigkeit in der Gesellschaft göttlicher Wesen ausharren. Was für ein entsetzlicher Gedanke.
Was hatten reiche Gemachte Menschen, die solchen Ehrgeiz hatten, nur früher getan, bevor Krallenstadt geheiligter Boden geworden war?
Die Legenden besagten, daß vor vielen Sonnenkreisen die vierzehn Städte im Canyon nur zu bestimmten Zeiten besetzt waren. Die Leute kamen nur zu den Zeremonien, aber sie blieben nicht dort, weder tot noch lebendig, außer vielleicht durch einen Zufall. Nur im Lauf der letzten Generationen hatte eine kleine konstante Zahl von Häuptlingen, Priestern, Clan-Ältesten und Sklaven hier gelebt, sich um die Geister gekümmert, die heiligen Schreine in Ordnung gehalten und die wunderbaren
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