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Vorzeitsaga 08 - Das Volk der Stille

Vorzeitsaga 08 - Das Volk der Stille

Titel: Vorzeitsaga 08 - Das Volk der Stille Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gear & Gear
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gelöst.
    »Nordlicht!« rief er. »Es ist Zeit!«
    »Ist sie oben?«
    »Gleich.«
    »Ich komme.«
    Der Sonnenseher nahm das Gehäuse der Trompetenschnecke, sein Rufhorn, an sich. Diese Schneckenmuscheln kamen aus einem fernen Meer. Händler sagten, da fließe immer Wasser. Eisenholz konnte sich so etwas kaum vorstellen; er hatte sein Leben lang in der Wüste gelebt. Gab es so einen Ort tatsächlich?
    Nordlicht rannte an Eisenholz vorbei, zur Dachleiter vor der Tür, die an der Wand lehnte. Er kletterte hinauf, zum höchsten Punkt von Krallenstadt, und unter seinem Gewicht knarrte das Dach. Er hob sein Hörn an die Lippen, ein dunkler Schatten gegen den sternbesetzten Himmel. Ein schriller, hoher Schmetterton durchschnitt die Nacht. Dann noch einer. Insgesamt vier.
    Bei diesem Signal kamen die Leute aus ihren Kammern. Einige liefen auf die Plaza. Andere setzten sich auf die Dächer. Zu seiner Linken sammelten sich ältere Leute, entlang der Ostmauer, wärmende Decken auf ihren weißen Köpfen. Zu seiner Rechten, entlang der Westmauer, kuschelten sich Kinder mit großen Augen in den Schoß ihrer Eltern.
    Nordlicht kam die Leiter herab. Er stand neben Eisenholz, sein Hörn unterm Arm. Eine Weile sagte keiner etwas. Dann fragte Nordlicht flüsternd: »Sind die Läufer von Lanzenblattdorf noch nicht zurück?«
    »Sie werden bald kommen. Ich habe sie eigentlich heute erwartet. Vielleicht morgen.« »Du hast doch Krieger zu den Meldetürmen geschickt, so daß wir im voraus wissen « »Natürlich, Nordlicht.« Er seufzte müde. »Aber bei dem Schnee hat Blaumais die Feuer vielleicht nicht gesehen. Er…«
    Er hörte auf zu sprechen, als die Bison-Tänzer, einzeln aus der Wärme der unterirdischen Kiva auftauchend, geisterhaft auf der kalten Plaza ausschwärmten. Sie bewegten sich in dem schwerfälligen Gang von Leitbullen und warfen den zottigen Kopf hin und her. Flaumfedern von Adlern zitterten an ihren Hörnerspitzen.
    Der Schädel eines Bisons war so ausgehöhlt, daß er auf den Kopf des Tänzers paßte, und der lange, buschige Bart lag ihm wärmend auf der nackten Brust. Die Männer trugen Kittel und Mokassins. Als sie vor die Feuer trotteten, hüpften ihre Schatten über die weißen Mauern wie dunkle Riesen, und mit den Füßen wirbelten sie losen Schnee in die Luft.
    Auf dem Mittelpunkt der Plaza angelangt, teilten sich die Tänzer in vier Gruppen und gingen zu den Marken der vier Himmelsrichtungen. Sie standen schweigend, schüttelten die Köpfe und wiegten sich sanft, wie vom Wind bewegt. Die große Macht des Bisons verbannte Krankheiten und schickte Schneestürme in die Berge. Im Frühling schmolz der Schnee, flutete die trockenen Wasserläufe, und Bruder Wüste öffnete die Augen, die ewig lebendig blieben. Bisons brachten der Welt das Leben, so wie immer seit dem Aufstieg in diese Fünfte Welt. »Nordlicht!« rief Nachtsonne.
    Eisenholz fuhr herum und sah Krähenbart eine Hand heben, als ob er einen von ihnen herbeiwinkte. Nordlicht wandte sich nicht um. Eisenholz sagte: »Er ist wach.« Nordlicht senkte den Kopf. »Ich weiß.«
    Die Bison-Tänzer stimmten die heiligen Gesänge an, um sich zu läutern und die Geister um Hilfe zu bitten. Als hätte er gerade noch genügend Kraft dafür, riß Nordlicht sich von der Aussicht los und schleppte sich mühsam ins Innere, um sich neben den Häuptling hinzuknien.
    Nachtsonne strich Krähenbart sanft über das verwelkte Kinn. »Hallo, mein Ehemann«, sagte sie leise. »Bist du -«
    »Geh … weg!« befahl die Gesegnete Sonne und streifte seine Frau mit einem bösen Blick. »Nordlicht? Ich will… nur Nordlicht.« »Ich bin hier, mein Häuptling.«
    Krähenbarts Kopf rollte seitwärts. Er kniff die Augen zu, als fiele es ihm schwer, die Züge des Sonnensehers in dem schwachen Glutlicht zu erkennen. »Geh zu Düne … bring ihn her.« Er hustete schwach. »Er muß … hier sein … bevor ich sterbe.«
    »Ja, mein Häuptling. Ich kümmere mich darum.« Er zog eines der Felle hoch bis zu Krähenbarts Kinn. »Nachtsonne ist auch hier.«
    »Nein«, fauchte Krähenbart und schloß die Augen.
    Nachtsonnes Mund zitterte. Sie legte ihre Fingerspitzen zärtlich auf die Haare ihres Mannes. »Krähenbart, ich habe darauf gewartet, daß ich -«
    »Geh weg!«
    Sie saß so still, sie hätte aus Holz geschnitzt sein können. Eisenholz ballte die Fäuste. Er hätte ihr so gern ein tröstendes Wort gesagt, aber gesprochene Wörter machten alles nur noch schlimmer. Nordlicht streckte den Arm

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