Vorzeitsaga 08 - Das Volk der Stille
etwas gemeinsam, du und Nordlicht.« Eisenholz zuckte die Achseln. »Priester beurteilen Männer anders als Krieger.«
»Wenn Schlangenhaupt dich entläßt, wohin gehst du dann? Was willst du machen?« Bilder bewaldeter Canyons im Norden kamen Eisenholz in den Sinn. Hirsche und Waldhühner hatten da ein gutes Leben in den Ausläufern der hohen Berge. Die Bäche führten klares Wasser, gespeist von den schmelzenden Schneemassen im Hochland. Als Junge war er oft dort gewesen, aber es würde sich kaum jemand an ihn erinnern. Da wäre es sicher möglich, in Frieden zu leben.
»Ich weiß nicht. Das muß ich mir gut überlegen.«
Dünes altes Gesicht drückte Mißstimmung aus, deshalb wechselte Eisenholz das Thema. »Ich war ziemlich erstaunt, den jungen Mann in deinem Haus zu sehen. Du hast nicht viele Lehrlinge gehabt in den letzten Sonnenkreisen, oder?«
»Zu viele«, schnaubte Düne. »Die kommen herdenweise, aber nur wenige bleiben länger als einen oder zwei Tage.«
»Nun ja, das Leben eines Einsiedlers ist nicht leicht, besonders nicht für junge Leute. Sie haben Bedürfnisse. Drängende Bedürfnisse in ihrem Alter. Sie reifen gerade heran -«
»Die Lehre eines Sängers hat ihre eigenen drängenden Bedürfnisse. Viel drängender als ein Penis, der gegen einen Lendenschurz klopft, Eisenholz. Ein Sänger muß zu einer Welt werden, die in sich ruht, um anderer Menschen willen. Das ist eine große Aufgabe.«
Eisenholz schnitt wieder einen Span von seinem Stock. »Im Alter von Sängerling war ich auch in meiner eigenen Welt, aber um meinetwillen. Ich wollte leben und lieben und …«
»So wie die meisten, die zu mir kommen. Erinnerst du dich an das, was dir die buckligen Flötenspieler beigebracht haben? Männlich und weiblich sind zwei Hälften eines Ganzen. Ich versuche, den jungen Sängern beizubringen, daß unsere Schöpferkraft, unsere Fruchtbarkeit, ja unsere Fähigkeit zu lieben, ein und dasselbe ist. Fruchtbarkeit ist heilig. Das ist nur ein anderes Wort für den Schöpfer.« »Für den Schöpfer?«
»Natürlich. Die Bedürfnisse des Körpers und die des Geistes unterscheiden sich nicht, Eisenholz, beide bedürfen sie der Macht des Schöpfers.«
»Sie werden unterschiedlich empfunden.«
Düne lächelte mit zahnlosem Mund. »Deswegen führen die Menschen dauernd Krieg gegeneinander, und deswegen bist du mit dir selbst in Unfrieden. Du mußt die schöpferische Fruchtbarkeit in dir anerkennen und sie nicht wie etwas Fremdes, wie eine Waffe benutzen. Der Schöpfer befreundet sich nur mit denen, die seine schöpferische Fruchtbarkeit in sich zur Blüte bringen.«
Eisenholz drehte seine Klinge, um die schärfere Seite zu benutzen. »Ich kenne keinen Gott, den ich mir zum Freund wünschte.«
»Nun gut.« Düne seufzte. »Mach das Beste aus dir. Ein Gott, den du haßt, ist besser als gar kein Gott.« Eisenholz hob die Brauen. Was für eine seltsame Erklärung! Tatsächlich hatte er einige der Götter gehaßt, besonders die, zu denen er im Kampf gebetet und sie angefleht hatte, sein Leben zu nehmen statt das Leben eines seiner Freunde. Aber sie hatten seinen Freund trotzdem sterben lassen. Was war denn das für eine Sorte Götter? »Ist es denn wirklich möglich, diesen inneren Krieg mit Hilfe schöpferischer Fruchtbarkeit - also Liebe - zu beenden ? Wir sind doch alle Menschen, eitel, überheblich -«
»Wirklich zu lieben ist harte Arbeit. Und ein einsamer Kampf. Aber es ist möglich. Die Sänger wissen, daß da in der Einsamkeit geheimnisvolle Wirkungen entstehen.« »Einsamkeit?« Eisenholz legte seinen Stock übers Knie und blickte mit gerunzelter Stirn auf die Dunstranken, die über den Canyon-Rand hinauswuchsen und Wolken wurden. »Ich glaube nicht, daß ich das aushalten könnte. Dafür habe ich zu gern Gesellschaft.«
»Einsamkeit ist eine notwendige Vorbereitung für das Zusammenleben, Kriegshäuptling. Die Menschen, besonders junge, bekommen Schwierigkeiten, weil ihnen dieses Fundament fehlt. Einsamkeit, verstehst du, ist der Herzschlag der Seele.«
»Hmm«, brummte Eisenholz. »Ich dachte, sie bekommen Schwierigkeiten, weil sie selbst kein Fundament haben.«
»Das habe ich gemeint.«
Eisenholz blickte ihn an. »Sängerling ist neu in diesem Schamanenleben. Hast du keine Angst, daß ihm das langweilig wird und daß er fortläuft, wenn du weg bist? Das würde ich an seiner Stelle machen.«
Düne lächelte wehmütig. »Das einzige, wovor ich Angst habe, Kriegshäuptling, ist der Stolz, der in
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