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Vorzeitsaga 08 - Das Volk der Stille

Vorzeitsaga 08 - Das Volk der Stille

Titel: Vorzeitsaga 08 - Das Volk der Stille Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kathleen O'Neal Gear , W. Michael Gear
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kannst du es vielleicht nie mehr tun.
    »Nachtsonne?«
    »Hmm?« sagte sie schlaftrunken.
    »Ich habe nie aufgehört, dich zu lieben.«
    Sie hob den Kopf, und ihr langes ergrauendes Haar fiel über ihn. Das hatte sie noch nie von ihm gehört. Trauer war in ihren Augen, von einer Tiefe, die ihm angst machte, so wie vor so vielen Sommern, bevor sie ihm gesagt hatte, daß sie ihn nie mehr sehen könne. »Eisenholz, ich…« Als ihre Stimme brach, sagte er: »Du brauchst mir nicht zu sagen, daß du mich liebst, Nachtsonne. Das hatte ich auch nicht erwartet. Aber ich, ich wollte es dir sagen. Ich habe es so oft in meinen Träumen gesagt, daß ich es einmal ausgesprochen hören wollte. Nur einmal.«
    Sie strich sich das Haar hinter die Ohren und seufzte. »Wenn ich das sage, Eisenholz, dann wird das der Tag sein, an dem wir Krallenstadt verlassen müssen und das Volk des Rechten Wegs dazu. Wir müßten alles aufgeben. Das ist dir klar, nicht wahr? Wir dürften niemals zusammen gesehen werden. Nicht hier. Nirgends, innerhalb unseres Volks.«
    »Ja, das ist mir klar.«
    »Bist du bereit, alles aufzugeben?«
    Er lächelte. »Ich habe nichts ohne dich, Nachtsonne.«
    Langsam legte sie ihren Kopf zurück; ihre schlanken Finger glitten über seinen Arm, den Muskelschwellungen entlang. Sehr leise flüsternd sagte sie: »Vergib mir, Eisenholz.« Er starrte auf das Sternenlicht, das sich auf der schwarzen Teerschicht der Deckenbalken widerspiegelte wie ein Gewebe aus kleinen schimmernden Diamanten.
    Er nickte, sein Gesicht in ihrem Haar. »Das habe ich doch immer getan.«

33. K APITEL
    Die Sonne schien durch das Ostfenster in Nachtsonnes Zimmer und blitzte auf einer Wolke schillernder Fliegen, die in der warmen Frühlingsluft summten. Ziellos wanderte sie durch den Raum. Sie war frei, kaum einen Tag lang, und wußte nicht recht, was sie als erstes tun sollte. Sie schaute sich um. Die Kammer war zwei mal drei Körperlängen groß. Der Bison-Thlatsina mit geschwungenen Hörnern und langem schwarzem Bart starrte sie von der Südwand an. Unter ihm, auf dem Boden, stand eine Reihe Töpfe von der Grünen Mesa, mit exquisiten schwarzweißen Mustern bemalt. Heilkräuter und -wurzeln waren in ihnen aufbewahrt. Die Sonne erwärmte den kleinsten Topf, aus dem der Duft getrockneter Minze aufstieg. Der Sonnen-Thlatsina tanzte auf der Nordwand, die rosigen Arme ausgestreckt und einen Fuß angehoben. Er trug einen Kopfschmuck aus Adlerfedern. Es lag alles so da, wie sie es verlassen hatte. Doch warum wirkte alles so unvertraut? War der Geist des Zimmers während ihrer Abwesenheit geflohen? Ihre Decken, unter denen sie Eisenholz umarmt hatte, ruhten unterhalb des Sonnen-Thlatsina, und ihre kostbarste Habe lag in dem großen blau-weißen Korb in der nordwestlichen Ecke; sechs Hände hoch und vier breit - der Korb enthielt ihr ganzes Leben.
    Nachtsonne hob den Deckel auf. Behutsam nahm sie die gelbe Decke heraus, die ihre Großmutter gewebt hatte, dann den ersten Topf, den Wolkenspiel getöpfert hatte, klein und rot, mit ihren winzigen Fingerabdrücken auf der Oberfläche. Nachtsonne fuhr über jede Delle, und plötzlich überfiel sie eine Art von Lähmung - wie durch einen vergessenen Schrecken, den ein Wort oder ein Blick mit einem Schlag wieder ins Gedächtnis ruft. Sie zog ihre Hand zurück, die zitterte.
    Ihre Tochter war tot, sie hatte die Leiche gesehen, berührt und das kalte Fleisch gefühlt. Aber dennoch hatte sie bis jetzt diese Tatsache noch nicht akzeptiert - als ob ihre Seele darauf beharrte, daß ihr die Augen etwas vorgetäuscht hätten, so sah sie in der Erinnerung Wolkenspiel lebendig und lächelnd. Was würde geschehen, wenn sie die Wahrheit endlich annehmen müßte?
    Nachtsonne spähte in den kleinen Topf, auf den Obsidian-Kratzer, den ihr Schlangenhaupt in seinem siebenten Sommer geschenkt hatte. Damals hatte er sie geliebt. Ihr heiligen Götter, was war geschehen, daß er sie jetzt so haßte? Was hätte sie denn anders machen sollen?
    Ihre Hand verharrte unsicher über dem seltenen und kostbaren Türkis-Messer von Eisenholz. Als sie von ihrem ersten Ausflug zurückgekehrt waren, hatte er es in ihre Hand gleiten lassen. Sie waren von einer Menge Leuten umgeben gewesen, und niemand hatte etwas gesehen. Er war weitergegangen, ohne ein Wort zu sagen. Nachtsonne nahm es und drückte es an ihr Herz. Es war ein fröhlicher Ausflug gewesen. Acht Tage lang hatten sie gelacht und geredet, und wenn er Nachtsonne angesehen hatte, war sie

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