Vorzeitsaga 08 - Das Volk der Stille
Rechten Wegs.«
»Ich weiß, daß du für Schlangenhaupt arbeitest, ich habe gerade Trauertaube aus seinem Zimmer kommen sehen, bevor sie mit dir sprach. Was geht hier vor, Fichtenzapfen? Ist sie eine Botin, die Nachrichten nach beiden Seiten übermittelt?«
»Das ist richtig«, sagte Fichtenzapfen zurückhaltend. »Keiner achtet besonders auf das Kommen und Gehen einer Sklavin.«
Spannerraupe neigte den Kopf argwöhnisch zur Seite. »Und warum kommst du nicht selbst in die Stadt, um die Nachricht zu überbringen?«
»Das kann ich nicht, Spannerraupe.« Fichtenzapfen hob hilflos die Hände. »Schlangenhaupt wünscht nicht, daß man in der Stadt weiß, daß ich am Leben bin. Das würde seine Pläne vereiteln.« »Was für Pläne?« Plötzlich verärgert, sagte Spannerraupe: »Vielleicht will er nicht, daß unser Volk das weiß. Aber ich bin der Kriegshäuptling! Ich müßte wissen, was du machst.«
Fichtenzapfen neigte den Kopf. »Tadle mich bitte nicht, mein Freund. Ich befolge Befehle, das ist alles. Du kennst das doch. Wir sind Krieger. Wir müssen gehorchen, ob uns die Befehle gefallen oder nicht.«
Spannerraupe stemmte die Hände in die Hüften, noch unter dem Eindruck der letzten Tage, noch gepeinigt von den Bildern von Palmlilie und Lanzenblattdorf. Er seufzte. »Ja, ich kenne das. Aber es braucht mir nicht zu gefallen.«
»Wenn es dich tröstet«, sagte Fichtenzapfen und blickte unbehaglich in die Runde, als hätte er Angst, gesehen zu werden, »dann sag ich dir, daß alles in ein paar Tagen vorbei sein wird. Aber jetzt, wenn du mich nicht umbringst, muß ich gehen.« Er grinste in seiner eigentümlichen respektlosen Art, mit der er die Leute immer zum Lachen gebracht hatte.
Spannerraupe unterdrückte sein Lächeln. »Ich bringe dich um, verlaß dich drauf, wenn du mir nicht alles erklärst, sobald es vorbei ist.«
»Das werde ich. Das ist versprochen. Leb wohl, alter Freund.«
Spannerraupe hob grüßend die Hand, als Fichtenzapfen in den Graben lief und im wogenden Dunst verschwand.
Spannerraupe trottete nach Krallenstadt zurück. Warum wollte Schlangenhaupt das Volk nicht wissen lassen, daß Fichtenzapfen noch lebte? Sein Umhang flatterte im Wind. Was erreichte er damit, wenn er die Leute glauben ließ, er wäre tot? Das Volk hatte keinen Anlaß, Fichtenzapfen für irgend etwas zu tadeln oder seine Unternehmungen zu fürchten. Aber für welche geheime Mission wäre so etwas nützlich? Und warum war es nötig, den Kriegshäuptling im dunkeln tappen zu lassen? Fichtenzapfen war verschwunden, während Eisenholz noch Kriegshäuptling war.
Spannerraupe fühlte sich wie ein Sperling, der in einem Teich zappelt, in einem völlig fremden Element.
Wenn Fichtenzapfen die Wahrheit gesagt hatte - und seine Mission betraf das Überleben des Volks des Rechten Wegs -, dann hätte Eisenholz jedenfalls nicht vergessen, Spannerraupe darüber zu verständigen. Wie aufgewühlt er auch gewesen wäre, dieser Mann hätte nie einen solchen Fehler gemacht.
Spannerraupe haderte mit sich und blinzelte mit seinen müden Augen. Er würde später darüber nachdenken. Obwohl es ihm so vorkam, als wäre sein Kopf mit Baumwolle vollgestopft, mußte er jetzt den fast unmöglichen Auftrag ausführen, achtzig Krieger aufzubieten. Wenn das erledigt war, würde er mit Eisenholz sprechen.
Ich habe ein Recht zu wissen, was vorgeht. Ich bin der Kriegshäuptling.
Schlangenhaupt hielt seinen Vorhang gerade so weit zurück, daß er Nordlicht und Düne beobachten konnte, die mit den zwei jungen Leuten, die ihnen geholfen hatten, über die Plaza gingen. Er betrachtete die junge Frau genau: Sie war schlank, mit breiten Backenknochen, einer spitzen Nase und vollen Lippen, und trug ein schönes hellgrünes Gewand, vermutlich etwas, was ihr Nordlicht gegeben hatte. Es stammte sicher nicht aus den umliegenden Dörfern, dafür war das Gewebe zu fein, die Färbung zu leuchtend. Ihr hüftlanges Haar schwang beim Gehen leicht hin und her. Sklavinnen füllten allmählich die Plaza, mahlten Mais und falteten Kleidung zusammen; zwei alte Männer saßen an Webstühlen. Kinder rannten herum und spielten Nachlaufen mitten in einer Schar erschreckter Truthühner. Die Morgenbrise trug das Geschrei und Gekoller heran, zusammen mit einigen losen Federn.
»Was hältst du davon?« fragte Trauertaube ängstlich. Seit Morgengrauen hatte sie siebenmal gebeten, weggehen zu dürfen. Ihr Gefühl, ihm ausgeliefert zu sein, hatte einen Höhepunkt erreicht.
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