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Vorzeitsaga 10 - Das Volk der Masken

Vorzeitsaga 10 - Das Volk der Masken

Titel: Vorzeitsaga 10 - Das Volk der Masken Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gear & Gear
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»Mutter« oder »Großmutter« zu nennen, und umgekehrt nannten diese Frauen die Kinder »mein Sohn« oder »meine Tochter«. Und untereinander bezeichneten die Kinder sich liebevoll als »mein Bruder« oder »meine Schwester«.
    »Ich kenne die Geschichten bereits, Zaunkönig. Ich habe genau zugehört, was in den Familien gesprochen wurde. Sie leben in meinem Langhaus.«
    Rebenstock, die beste Freundin von Dunkler Wind, kicherte. Sie sah nicht besonders gut und stieß ständig mit irgendwelchen Leuten zusammen. Pummelig und pausbäckig, mit den kleinen, ständig blinzelnden Knopfaugen und den großen, vorstehenden Schneidezähnen sah sie aus wie ein dickes Eichhörnchen. Ihr schwarzes Haar reichte ihr gerade einmal bis ans Kinn. »Dein Onkel ist nicht der einzige, der Ohren besitzt, Zaunkönig. Ich habe auch die eine oder andere Geschichte gehört.« Zaunkönig hielt den Mund. Ihr Onkel hatte sie gelehrt, kein Wort zu äußern, solange Wut oder Ärger ihr Herz berührten. Schweigend stellte sie ihre Schale vor sich auf den Boden, wo bereits ihr Werkzeug lag: ein kleines Beil aus Granit, eine Geweihspitze zum Spalten von Holz und ein Steinschaber. Das Holz der Zitterpappel verrottete von innen heraus und bildete eine harte Schicht um den morschen Kern. Wenn diese gesäubert und über dem Feuer gehärtet war, ließen sich aus dem hellen Holz wunderschöne Gefäße schnitzen.
    »Sind dir letzte Nacht die Ohren zugewachsen, Zaunkönig?«, witzelte Dunkler Wind. »Jeder hier im Dorf hat über die Morde gesprochen. Wie ist es möglich, dass du die Leute in deinem Langhaus nicht auch darüber hast reden hören?«
    »Oh, ich habe sie sehr wohl gehört, Schwester«, entgegnete Zaunkönig und nahm die Geweihspitze und das Steinbeil zur Hand. Nachdem sie die zugeschliffene Spitze des Hirschgeweihs so an dem morschen Holz angesetzt hatte, wie Sumpfbohne es ihr gezeigt hatte, begann sie vorsichtig mit der breiten Seite des Granitbeils auf das abgeflachte Ende der Hornspitze zu schlagen. Das morsche Holz splitterte ab, und Zaunkönig warf die kleinen Brocken ins Feuer, wo die Flammen sie knisternd verschlangen. »Ich höre nur keinen Narren zu.«
    Dunkler Wind richtete sich entrüstet auf. »Du nennst mich einen Narren!«
    »Nur, wenn du solchen zuhörst.«
    Rebenstocks zugekniffene Augen wanderten zwischen ihrer besten Freundin und Zaunkönig hin und her, als wartete sie darauf, dass die beiden sich mit Worten verausgabten, ehe sie handgreiflich wurden. Sie war ein richtiger Angsthase.
    Dunkler Wind ereiferte sich: »Du benimmst dich wie ein Mann, Zaunkönig. Du hast weder Sinn für Worte noch für Gefühle. Der Tod deiner Mutter hat dich in deiner Entwicklung verkümmern lassen.« Zaunkönig war machtlos gegen die Tränen, die in ihren Augen aufstiegen.
    Ihre Interessen unterschieden sich tatsächlich von denen anderer Mädchen ihres Alters. Das hatte sogar ihre Mutter gesagt. Während andere junge Mädchen von Heirat und Ansehen innerhalb des Klans träumten, dürstete es Zaunkönig nach Abenteuern. Gerade vor einem Mond hatte sie Onkel Blauer Rabe anvertraut, dass sie gerne das Händlergewerbe erlernen würde. Ihre Mutter hatte ihr diesen Vorschlag gemacht, obgleich nur wenige Frauen dieses Gewerbe ausübten, barg es doch unzählige Gefahren. Aber die Aussicht, fremde Menschen kennen zu lernen und ferne Gegenden zu bereisen, faszinierte Zaunkönig über alle Maßen. Onkel Blauer Rabe hatte nach einigem Zögern ihren Wunsch gebilligt, ihr aber gesagt, sie müsse die Angelegenheit vorher noch mit ihrer Großmutter besprechen. Bis jetzt hatte Zaunkönig noch nicht den Mut dazu aufgebracht, aber bald würde sie sich ein Herz fassen und zu ihr gehen.
    Dunkler Wind lächelte. »Warum versuchst du nicht wenigstens, dich wie eine Frau zu benehmen, selbst wenn es nicht in deiner Natur liegt? Dann würden dich die anderen Mädchen im Dorf sicherlich eher akzeptieren.«
    Rebenstock nickte wichtigtuerisch. »Das ist richtig, Zaunkönig. Ich verstehe wirklich nicht, warum …« »Klar verstehst du nichts, Rebenstock. Weil du kaum die Hand vor Augen siehst.« Zaunkönig wischte sich mit dem Handrücken die Tränen ab. »Und was dieses Frauenbenehmen anbelangt, da kann ich nur sagen, dass ich noch keine Frau bin, und du genauso wenig, Dunkler Wind.«
    »Niemand mag dich«, erklärte Dunkler Wind und seufzte nachdrücklich.
    Die Worte schmerzten, besonders weil Zaunkönig wusste, dass sie der Wahrheit entsprachen. Es war ihr immer schon

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