Vox
war das so eine Art Schlußpunkt, und wir gingen zurückhaltender miteinander um. Denn was gab es da noch zu sagen? Ich hatte alles auf den Tisch gelegt, und sie hatte mich im Grunde abgewiesen. Aber dann gab es eine große Abschiedsparty für jemanden, und da flirtete Lee mit ihr auf seine kesse coole Art. Mann, wie mich das abstößt, wie er sich Erdnüsse in den Mund kippt. Dem ist jetzt schon 52 zu eng, und trotzdem wirft er den Kopf in den Nacken, wenn man ihn was gefragt hat, schiebt eine ganze Ladung Nüsse ein und beantwortet dann knurpsend die Frage. Mit dem Erdnußessen versucht er, sardonisch zu sein. Das ist irgendeine Fernsehkonvention, die die Leute gepackt hat. Natürlich kommt es mal vor, daß einen etwas so beschäftigt, daß man mit vollem Mund davon redet, damit habe ich keine Probleme. Schlimm finde ich, wenn man das Sprechen mit vollem Mund bewußt dazu benutzt, zu demonstrieren, wie total relaxed und spontan man parlieren kann. Das kommt davon, daß man mit diesen ganzen Werbespots für gesalzene Knabbereien aufwächst. Mini-Tacos. Ich kann ihn also nicht ausstehen, und er ist auf der Party, aber mittendrin passiert was Schlimmes zwischen Emily und ihm, im Grunde macht er ihr bloß klar, daß er gern mit ihr flirtet, aber nichts weiter, er ist ja verheiratet. Sie erzählt mir das alles auf dem Parkplatz, sie ist den Tränen nahe, und dann hockt sie sich hin und hält sich am Außenspiegel meines Wagens fest, schaut hinein und sagt: ‹Ja, ja – ich sehe ja auch überzeugend verhärmt aus.› Das war ihr bester Ausspruch – er läßt sie womöglich sogar verletzlicher und liebenswerter erscheinen, als sie in Wirklichkeit ist. Nein, das ist nicht fair – sie ist schon sehr nett. Jedenfalls hab ich die ganze nächste Woche mit ihr über Lee geredet und geredet, über jeden nur möglichen Aspekt der Situation, wobei ich ihr allerdings nicht gesagt habe, daß ich ihn abstoßend und kindisch fand, ansonsten aber haben wir das Thema voll ausgeschöpft. Schließlich konnte ich es dann nicht mehr ertragen, über ihn zu reden, und ich sagte: ‹Ich muß dich jetzt mal um einen Rat bitten.› Denn es war offensichtlich, daß sie von ihren Schwierigkeiten abgelenkt werden mußte. Es war sechs, wir machten wieder mal Feierabend. Und irgendwie, es war pures Glück, war das die ideale exakte Sekunde, sie um einen Rat zu bitten: Sie überschlug sich fast vor Erleichterung und Hilfsbereitschaft, und sie zeigte auf ein Cafe auf der anderen Straßenseite und sagte: ‹Gehen wir doch da rein.› Und so erzählte ich ihr über zwei aufmunternden Caffè latte von dem Problem. Ich zog einen Teil einer Zeitung hervor, faltete ihn auseinander und schaute erst ihn an, dann wieder sie, dann wieder ihn, und dann erzählte ich ihr, daß ich mir überlegte, eine Kontaktanzeige aufzugeben, in der ich mir etwas sehr Spezielles wünschte. Und sie reagierte mit höflicher Neugier, also sagte ich: ‹Das da habe ich mir überlegt› und reichte es ihr. Es war das Kontaktanzeigenformular, das ich ausgefüllt hatte. Die Anzeige lautete – das wird dich jetzt aber enttäuschen.»
«Ich rechne voll und ganz damit, enttäuscht zu werden.»
«Gut. Sie lautete ungefähr so: ‹Du und ich, wir sitzen nebeneinander auf meiner Couch und sehen P-Video, ohne einander zu berühren. Du bist klein oder groß usw. du möchtest, daß ich sehe, wie Lust deine Züge verwandelt. Ich bin ungeb. w. M. 29.›»
«Wolltest du die Anzeige tatsächlich aufgeben?»
«Ich denke schon, möglicherweise. Nein, wahrscheinlich doch nicht. Ich hatte sie eine Zeitlang mit mir in der Tasche herumgetragen, sie kriegte allmählich so ein Lange-schon-gefaltet-Aussehen.»
«Wie hat sie reagiert?»
«Emily sagte: ‹Du kannst es ja versuchen, aber ich habe ernste Zweifel, ob sich darauf jemand meldet.› Was völlig richtig war.»
«Ach, ich weiß nicht.»
«Selbst wenn sie unrecht gehabt hätte, ich glaube, ich wollte eigentlich gar nicht, was ich vorgab zu wollen. Und dann noch eine Fremde, das wäre doch peinlich geworden. Es hätte eine solche Willensanstrengung gebraucht, über das reine Blabla der Konventionen hinauszukommen. Meine Erektion hätte so was nie überlebt. In Wahrheit hatte ich nämlich Emily das zusammengefaltete Stück Zeitung geben und ihr zusehen wollen, wie sie es las. Ich sagte: ‹Und wenn ich die lahme Zeile mit der Lust, die ihre Züge verwandelt, herausnehme?› Und sie sagte: ‹Aber das ist das einzige, das überhaupt was
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