Vox
jetzt bedeutet es einfach: ‹He, ihr müßt diesen Sexfilm sehr ernst nehmen, so ernst wie nur etwas, dessen Entdeckung einen Linearbeschleuniger erfordert, gut, ihr könnt ein Lachen vorschützen und denken, wie komisch und lächerlich, aber wirklich lachen werdet ihr nicht, denn egal, wie oft ihr nicht jugendfrei gefilmten Sex in eurer Wohnung seht, einfach, indem ihr euch ein Video ausleiht, das hier hat immer noch die Power, euch ein bißchen zu schockieren, es ist immer noch was Wunderbares, immer noch großartig.› Und dann kam eine Vorschau. Ich gab ihr die Fernbedienung und sagte: ‹Laß es weiterlaufen, sobald dich was langweilt.› Das mit den Vorschauen hatte ich vergessen – die ganzen schnellen Schnitte, ohne jeden Fortgang, und das plötzliche Zucken wippender Nannis, dann plötzlich eine Abspritzszene. Ich weiß noch, wie ich mal in einen auf Kunst getrimmten Film ging, mit Richard Dreyfuss glaube ich, ist schon lange her, der ab achtzehn und nebenbei gesagt nicht besonders war, dafür voll von der ganzen Trostlosigkeit, die ein Film hat, wenn er versucht, aus Porno Kunst zu machen, so freudlos, die Sache daran aber war die, daß das Ding zwar ein richtiger Film war, aber in einem Pornokino lief, weil er ab achtzehn war, das war irgendwann in den Siebzigern, und ich erinnere mich, wie ein Mann und eine Frau vor mir die leichte Schräge zur Kasse hochgingen, Popcorn-Tüten in der Hand, weil der Popcorn-Stand, der sonst immer zu war, aus Anlaß dieses Klassefilms mit richtigen Stars extra aufgemacht hatte, und das Paar ging durch den Einlaß, sie konnten also die schlechte elektronische Musik hören, und sie bogen um die Ecke, und peng, standen sie im Dunkel des Kinos und blickten über die ganzen Sitzreihen, es liefen gerade die Vorschauen, und es waren natürlich Vorschauen auf Standardpornos, fünf oder sechs, auf der Leinwand war also ein Riesenbild von einer wie Brigitte Monet, die mit lauten Glucksgeräuschen einen gewaltigen waagerecht abstehenden Schwanz lutschte, und elektronische Oktaven dröhnten dazu, und ich sah, wie die Frau stehenblieb und zurückzuckte, ihren Freund am Arm faßte und ihn flehend ansah – ‹Du hast doch gesagt, es wäre nicht so was!› – und ihr Freund machte ein entsetztes ‹Tut mir leid›-Gesicht, und ich hinter ihnen machte in vornehmer Mißbilligung dessen, was auf der Leinwand ablief, ‹Ts ts ts›, weil ich wollte, daß die beiden nicht dachten, sie hätten einen schrecklichen Fehler gemacht, ich wollte, daß sie ihn trotzdem noch mochte, damals, da war ich vielleicht achtzehn, wollte ich, daß Frauen sehen, warum indizierte Filme so wunderbar sind, in mancher Hinsicht will ich das heute noch gern, und während der letzten fünfzehn Jahre ist es mit dem Video in begrenztem Ausmaß auch so gekommen, obwohl du, wie du sagst, immer noch nach dem viktorianischen Taschenbuch greifen würdest, wenn du die Wahl hättest, und wahrscheinlich hast du auch recht – aber ich wollte dieser Frau versichern, daß es okay war, daß auch Leute wie ich in dieses Kino gingen, friedfertige normale intelligente Männer, daß es nicht das Ende der Zivilisation war – ich machte das mißbilligende Geräusch, obwohl mich der Anblick des Schwanzlutschens nicht im mindesten gestört hätte, wenn nur ich allein es gesehen hätte: Ich spürte ihr Zögern, und ich wollte, so ungefähr wie ein Makler, der zu dem Haus, das er vorführen will, eine besondere Route nimmt, die durch schönere, schickere Straßen führt, ich wollte, daß sie sanft an das plastische Bild einer Abspritzeinstellung herangeführt wird und da ein gutes Erlebnis hat und nicht von männlichen Vorlieben geschockt wieder geht; das gleiche Gefühl habe ich manchmal, wenn ich ausländische Touristen in einer Stadt sehe, die ich kenne, wie sie verwirrt in einem Innenstadtviertel herumlaufen, und ich sehe, daß sie enttäuscht sind, dann möchte ich zu ihnen hin und sagen: ‹Ich weiß, das ist das übliche Stadtführerprogramm, was ihr hier macht, vergeßt es, das ist eigentlich nicht unsere Stadt, seht euch dieses Viertel und jenes Viertel an› – ich wollte die Frau ritterlich vor dem kruden Riesenschwanz der kommenden Attraktion retten, genauso wie ich, als ich klein war, immer dachte, ich würde an die Oberfläche schwimmen, eine Frau in Nöten im Griff, der ich das Mundstück meines Sauerstoffgeräts überlassen hätte, und sie ins Boot hieven, ihr den nassen kalten Taucheranzug ausziehen und sie mit dem
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