Voyager 012 - Der Garten
Meter trennten Kim vom
Schatten des höchsten Turms. Er zögerte, denn aus irgendeinem
Grund widerstrebte es ihm, in die Dunkelheit zu treten. Eine
Sekunde später ärgerte er sich über das eigene Empfinden, das
er für völlig unwissenschaftlich hielt. Der Schatten war keine
Gefahr, sondern ein vollkommen natürliches Phänomen.
»Ein imposanter Ort, nicht wahr?« fragte Paris neben Kim.
Der junge Fähnrich runzelte kurz die Stirn und fragte sich, ob
seine Furcht so offensichtlich gewesen war. Er drehte den Kopf
und stellte fest, daß Paris’ Blick auch weiterhin den miteinander
verbundenen Gebäuden galt. Auch in der Stirn des Navigators
zeigten sich Falten. »Und er soll imposant sein.«
»Wie meinen Sie das?«
»Ausmaße und Struktur… Ich habe das Gefühl, alles dient
dem Zweck, einschüchternd zu wirken – zumindest auf
jemanden, der sich von dieser Seite nähert.«
Kim sah an der Zitadelle hoch, deren Türme sich finster vor
dem Hintergrund des Nachmittagshimmels abzeichneten. Die
Gebäude vermittelten einen fast organischen Eindruck: Jedes
einzelne von ihnen schien aus anderen herauszuwachsen.
Kleinere Türme umringten einen zentralen Turm mit einer
gläsernen Scheibe, wirkten wie Stempel an einem Staubgefäß.
Ihre dornartigen Spitzen neigten sich nach außen, als wären sie
zur Abwehr bereit. Die ganze gewaltige Konstruktion sah aus
wie ein einzelne, feindliche Entität, eine monströse Kreuzung
aus Pflanze und Tier – ein hybrides Ungeheuer, das ihnen den
Weg versperrte. Kim schüttelte den Kopf und versuchte, dieses
Bild aus seinem Innern zu verdrängen. »Vielleicht irren Sie
sich«, sagte er. »Die Zitadelle wurde von fremden Wesen
erbaut, und wir wissen nichts von ihren architektonischen
Konzepten.«
Paris deutete zu den Anbauflächen. »Die Geschöpfe dort
drüben sind fast humanoid. Ich bleibe bei meiner Ansicht: Es
steckt Absicht der Erbauer dahinter.«
»Ich hoffe, daß Sie unrecht haben, Mr. Paris«, sagte Janeway.
»Andernfalls fällt es uns vielleicht sehr schwer,
Handelsvereinbarungen mit den Kirse zu treffen. Wenn Sie nun
Ihre architektonischen Studien unterbrechen könnten… Ich
möchte den Weg fortsetzen.«
»Entschuldigen Sie, Captain.« Paris klang kaum verlegen, und
Kim warf ihm einen neidischen Blick zu – seine eigenen
Wangen brannten.
»In einem Punkt hat er recht«, ließ sich Torres vernehmen.
»Das hier sieht sehr unfreundlich aus.«
»Von Neelix wissen wir, daß die Kirse immer wieder von den
Andirrim angegriffen wurden.« Janeway schüttelte verwundert
den Kopf. »Aber wenn dies eine Festung ist – wo sind dann die
Tore?«
Eine gute Frage. Kim sondierte die dunkelgrünen Wände, ohne
irgendeine Barriere zu entdecken. Er fand nur eine Öffnung
ganz unten in einem Turm, der oben eine pilzförmige Kappe
trug. Erneut richtete er den Tricorder darauf, sondierte nach
Kraftfeldern und verborgenen Verteidigungsmechanismen, doch
es gab nichts dergleichen.
»Alles klar«, sagte Renehan im gleichen Augenblick. »Im
Innern des Gebäudekomplexes existiert eine niederenergetische
Energiequelle. Aber damit könnte man nicht einmal einen
Phaser laden.«
»Wie dem auch sei – das Licht ist eingeschaltet«, bemerkte
Paris.
Kim hielt genauer Ausschau. Die Öffnung im Turm
präsentierte keine Schwärze, sondern ebensoviel Helligkeit wie
die Schattenbereiche vor den Außenwänden. Das Licht der
Sonne schien irgendwie durchs wächserne Gestein zu dringen.
»Gibt es einen Zusammenhang zwischen dem Licht und der
Energiequelle?« fragte Janeway.
Torres blickte mit gerunzelter Stirn auf die Anzeigen ihres
Tricorders. »Das energetische Niveau ist ein wenig höher als
erforderlich, um das Licht zu erzeugen. Aber der Unterschied
bleibt sehr gering. Außerdem befindet sich die Energiequelle tief
im Innern der Zitadelle.«
Die Kommandantin nickte, sah zur Öffnung und klopfte auf
ihren Insignienkommunikator. »Janeway an Voyager. Wir
betreten jetzt die Zitadelle.«
»Unsere Sensoren erfassen Sie«, erwiderte Chakotay sofort.
»Gut so. Janeway Ende.« Sie wandte sich an die
Einsatzgruppe und lächelte. »Ich schlage vor, wir halten die
Öffnung im Turm für eine Einladung.« Mit diesen Worten setzte
sie sich wieder in Bewegung.
Kim tastete nach seinem Phaser und vergewisserte sich erneut,
daß er die Waffe jederzeit ziehen konnte. Er wußte, daß er sich
damit beruhigen wollte, aber offenbar ging es nicht nur ihm
allein
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