Voyager 012 - Der Garten
ragten.
»Sollen wir ein Experiment wagen?« fragte er.
Janeway nickte. »Weichen Sie zurück. Der Sicherheitsabstand
sollte mindestens zehn Meter betragen.«
Kim blinzelte verblüfft – er hatte nicht damit gerechnet, daß
die Kommandantin direkt an dem Test beteiligt werden wollte.
Paris runzelte die Stirn. »Captain…«
»Das ist ein Befehl, Mr. Paris«, betonte Janeway, woraufhin
der Navigator zusammen mit den anderen zurückwich. »Also
gut, Mr. Kim. Stellen wir fest, was passiert, wenn Sie eine der
Blumen berühren.«
»Ja, Captain.« Kim griff in die Werkzeugtasche, holte eine
Teleskopstange hervor und fuhr sie auf die volle Länge von
zwei Metern aus. Dann blickte er noch einmal zurück.
»Sitzen die Atemmasken richtig?« fragte Janeway und rückte
ihre eigene zurecht. Kim folgte ihrem Beispiel und nickte.
»Lieutenant Torres, zeichnen Sie alles auf?«
»Aye, Captain.«
»Gut. Es kann losgehen, Mr. Kim.«
Der Fähnrich holte tief Luft und streckte die Stange einer
großen Blume entgegen, die etwa zwei Meter vom Straßenrand
entfernt wuchs. Er hielt inne, als er glaubte, daß die Spitze
bereits in Kontakt mit den feinen Härchen geraten war, doch
nichts geschah. Als er die Stange noch etwas weiter nach vorn
schob, wiederholte sich das ratschende Geräusch – es klang
nach schweren Zahnrädern, die plötzlich in Bewegung gerieten.
Zwei Äste zuckten nach vorn und warfen Früchte auf die Straße.
Der Blütenstaub – oder die winzigen Samenkörner – stieg wie
Rauch auf, und Kim hielt die Luft an, bis sich die Wolke im
sanften Wind auflöste.
»Dies ist kein natürliches Phänomen«, sagte Torres.
»Ich bin geneigt, Ihnen zuzustimmen«, erwiderte Paris.
Janeway nickte nachdenklich. »Der erste Zweig zieht sich
wieder zusammen.«
Kim hörte ein leises Knirschen, drehte den Kopf und
beobachtete, wie einer der unteren Zweige langsam in seine
ursprüngliche Position zurückkehrte. Die schuppige Borke
schien sich an einer Seite – an der Seite, die das Sonnenlicht
empfing – zusammenzuziehen. Die ›Schale‹ am Ende des
Zweigs war leer, und Kim fragte sich, wie lange es dauern
würde, bis eine neue mit Gas gefüllte Frucht wuchs.
»He.« Paris trat auf ihn zu. »Hier ist die Blume ebenfalls
verschwunden.«
Das stimmte. Die blaue Blume, die der Fähnrich mit seiner
Stange berührt hatte, existierte nicht mehr. Zurück blieb ein
graubrauner Stumpf, der perfekt mit seiner Umgebung
verschmolz.
»Ich habe das Wurzelsystem sondiert«, sagte Torres.
»Offenbar verläuft es nicht unter der Straße.«
»Wir wären also sicher, wenn wir auf der Straße bleiben?«
fragte Renehan.
»Es sei denn, dort erwarten uns weitere Überraschungen, «
antwortete die Chefingenieurin.
Janeway verschränkte die Arme und sah zum gewölbten Dach
aus Zweigen empor. »Kein natürliches Phänomen«, sagte sie so
leise, daß Kim sie kaum verstand. »Der Meinung bin ich auch,
B’Elanna.« Sie sah über die Schulter. »Irgendwelche Anzeichen
von anorganischen Komponenten, Lieutenant Torres?«
»Nicht in diesem Bereich«, erwiderte die Chefingenieurin.
»Zumindest nicht bei diesem Teil des Baums. Ich orte hier nur
das Rohr, dem wir bisher gefolgt sind, und natürlich die Straße
selbst.«
»Na schön.« Janeway blickte wieder zu den Bäumen. »Die
Botschaft scheint recht klar zu sein: Bleibt auf der Straße, und
euch geschieht nichts.«
»Nicht sehr freundlich«, entfuhr es Paris, und Janeway warf
ihm einen kurzen Blick zu.
»Aber auch nicht unbedingt feindlich, Mr. Paris. Gehen wir.«
4
Die fremden Geschöpfe blieben auf Distanz, als Janeway und
ihre Begleiter den letzten Kilometer zur Zitadelle hinter sich
brachten. Kim sah sie zwischen Obstbüschen und halb
verborgen in hohem Korn. Von der Straße hielten sie sich fern.
Jeder Versuch, sie näher heranzulocken, führte nur dazu, daß sie
sich noch weiter in den Schutz der Anbauflächen zurückzogen.
Nun wirkte die Zitadelle größer als jemals zuvor. Ihre
Außenflächen schienen sich verändert zu haben, waren nun
matter und wie wächsern, reflektierten das Sonnenlicht nicht
mehr so stark wie zuvor. Kim stellte fest, daß sich die Sonne
jetzt immer schneller dem Horizont entgegenneigte, obwohl er
sie noch vor kurzer Zeit unweit des Zenits gesehen hatte. Länger
werdende Schatten gingen von der Zitadelle aus und erweckten
den Eindruck, die Landegruppe von der Voyager in Empfang
nehmen zu wollen. Nur noch fünf
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