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Voyeur

Titel: Voyeur Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Simon Beckett
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fehlte jede Energie zum Streiten. «Ich nehme an, du hast deinen
     kleinen Scherz genossen, oder?»
    «Ja, tatsächlich. Aber versteh es einfach als Warnung. Das nächste Mal wird’s ernst. Ich habe genug von diesem Hin und Her.
     Ich lasse mich ungern wie einen Angestellten behandeln, und wenn das nochmal passiert, werde ich mich nicht an der Haustür
     von Anna verabschieden. Erzähl mir also endlich, was du im Schilde führst, oder du kannst dir dein Geld in den Arsch schieben,
     und ich ficke sie trotzdem. Wie hättest du es gern?»
    Ich rieb mir die Augen. Ich war so müde, dass ich es mit einem Mal nicht abwarten konnte, ihn aus der Leitung zu kriegen.
     «Ich treffe dich morgen nach Geschäftsschluss. In deiner Wohnung.»
    «Warum nicht jetzt?»
    «Morgen», wiederholte ich. «Dann erzähle ich es dir.»

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    |329| Kapitel 22
    «Ein Mr.   Dryden möchte Sie sprechen.»
    Anna schaute mich erwartungsvoll an. Ich hatte ihre Worte zwar gehört, aber sie drangen nicht in mein Bewusstsein vor. Ich
     schüttelte mich. «Entschuldigen Sie, Anna. Was haben Sie gesagt?»
    «Ein Mr.   Dryden ist am Telefon. Soll ich ihm sagen, dass Sie beschäftigt sind?»
    «Nein. Nein, schon in Ordnung. Ich spreche mit ihm.» Ich war im hinteren Raum der Galerie und wollte eigentlich den Nikotinfilm
     von einem Ölgemälde entfernen. Doch die Materialien lagen fast unbenutzt zu meinen Füßen, und die Leinwand war so schmutzig
     wie zuvor. Nur in einer Ecke waren die Farben schon ein bisschen heller. So weit war ich gekommen, ehe ich mit den Gedanken
     abgeschweift war.
    «Alles in Ordnung?», fragte Anna. Sie war den ganzen Tag sehr um mich bemüht gewesen, weil sie sich nach meinen «Brustschmerzen»
     am vergangenen Abend Sorgen machte. Ich war jedoch zu abgelenkt, um Rührung zu empfinden. Nun lächelte ich sie beschwichtigend
     an.
    «Bestens. Hab nur ein bisschen geträumt.» Was beinahe der Wahrheit entsprach. Das Treffen mit Zeppo am Abend |330| ließ mir keine Ruhe, aber es gab auch einen anderen Grund für meine Zerstreutheit.
    Ich hatte wieder den Traum gehabt.
    Erneut hatte ich mich in diesem Raum befunden und zugeschaut, wie sich meine Mutter das Haar bürstete. Doch dieses Mal hatte
     der Anblick nichts Tröstliches gehabt. Das Gefühl von Zufriedenheit und Sicherheit war verschwunden. Während ich dalag und
     ihr Haar im Licht des Feuers schimmern sah, kam stattdessen eine böse Vorahnung in mir auf. Jedes Knistern der Scheite,
     jeder Bürstenschwung schien ein drohendes Unheil anzukündigen. Ich wusste, dass gleich etwas Schreckliches geschehen würde,
     hatte aber keine Ahnung, was. Während meine Angst mit jedem Augenblick größer wurde, konnte ich nur daliegen und darauf
     warten, dass sich das unbekannte Unglück ereignete.
    Als es dieses Mal im Traum an der Tür schellte, wachte ich nicht auf. Ich sah, wie meine Mutter die Bürste weglegte und
     zu mir kam. Die weiße Seide ihres Morgenrocks schimmerte im Zwielicht, als sie mich einen Moment betrachtete und dann das
     Zimmer verließ. Die Zeit stand still. Ich hörte, wie die Tür aufging, und lauschte ängstlich den gedämpften Stimmen. Meine
     Mutter und ein Mann. Ein Fremder.
    Dann lachte meine Mutter, und aus meiner Angst wurde Panik. Ich wusste mit grausamer Gewissheit, dass der Moment gekommen
     war, und erschrak zu Tode, als ich sie sagen hörte: «Alles in Ordnung. Er schläft.»
    Da bin ich aufgewacht. Ich schwitzte. Mit klopfendem Herzen schaute ich mich in meinem Zimmer um, bis mir klar war, wo ich
     mich befand. Langsam beruhigte ich mich. Aber ich konnte nicht mehr einschlafen. Ich lag da, starrte die |331| Decke an und beobachtete, wie sie mit der nahenden Dämmerung langsam heller wurde. Ich konnte nicht verstehen, warum der
     Traum mich so aufgewühlt hatte. Denn es war kein Albtraum, sondern ein ganz normaler Traum gewesen. Nichts rechtfertigte
     eine derart heftige Reaktion.
    Aber mir das zu sagen half nicht viel. Selbst das Tageslicht hatte es nicht geschafft, die unheilvolle Stimmung zu verscheuchen,
     die der Traum erzeugt hatte. Auf dem Weg in die Galerie hätte ich beinahe wieder einen Unfall gehabt, und seit ich angekommen
     war, war ich unfähig gewesen, mich länger als ein paar Minuten auf eine Sache zu konzentrieren.
    Das Telefon klingelte, und ich lief fast schlafwandlerisch zum Apparat in der Galerie, ehe ich es mir anders überlegte.
    «Ich nehme das Gespräch im Büro an», sagte ich zu Anna, ging nach oben, schloss

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