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VT02 - Der gierige Schlund

VT02 - Der gierige Schlund

Titel: VT02 - Der gierige Schlund Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael M. Thurner
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werde ihm nun einen Heilverband anlegen. Ich rechne damit, dass er weitermarschieren kann. Die Kräuter der alten Hexe bewirken manchmal Wunder, wie du weißt.«
    Ja. Vietsge, die Stadt-Apothekerin, war wie keine andere in der Heilkunde bewandert. Ihre Mixturen, oftmals aus Pflanzenextrakten, Kräutersäften und Tierdung zusammengebraut, hatten mehr als einmal Leben gerettet.
    »Ich entbinde euch von eurem Auftrag« , sagte Kinga leise. »Ich stelle dir und deinen Brüdern frei, nach Kilmalie zurückzukehren.«
    »Wir bleiben.« Sondroj verschränkte die Arme vor der Brust. Damit war das Thema für ihn erledigt.
    »Gut.« Kinga nickte und drehte sich von der Wand weg. Ein vereinzelter Sonnenstrahl fiel herab, wärmte sein Gesicht. Dieser sonst so unfreundliche Ort bekam mit einem Mal ein etwas freundlicheres Antlitz…
    Eine heftige Böe erwischte ihn, trieb ihn mit ungeahnter Wucht zum Abgrund hin. Er ließ sich nach vorne auf die Knie fallen, um dem Wind weniger Angriffsfläche zu bieten. Knapp vor der Kante fing er seinen Schwung ab, blickte für einen Moment in die Tiefen der Großen Grube hinab und krabbelte schließlich so rasch wie möglich auf allen Vieren zurück zur Wand.
    Kinga atmete tief durch. Keinen Augenblick lang durfte er in seiner Aufmerksamkeit nachlassen; hier drohte Gefahr selbst dann, wenn alles ruhig und friedlich zu sein schien. Er besaß zwar im Gegensatz zu seinen Kameraden einige Klettererfahrung, doch auf diesem unbekannten Terrain durfte er nichts als gegeben voraussetzen.
    »Hast du etwa Gleichgewichtsprobleme?«, fragte Zander grinsend, aber blass. Er hielt sich ebenso wie die anderen Männer an jenen Haken fest, die während der Nacht die Säcke getragen hatten.
    Kinga würdigte den Onkel keiner Antwort. Irgendetwas beschäftigte ihn. Ein Bild. Ein Eindruck, den er, als er zur Felskante hin geweht worden war, registriert hatte.
    Rasch verankerte er ein Seil, zog ein paar Schlingen, warf es sich um den Leib und kroch wieder vor zum Abgrund. Er sah sich um, versuchte Details im Fels zu erkennen, der sich gut und gern fünfzig Meter in die Tiefe erstreckte, bevor er in einen weiteren, breiteren Felssims überging.
    Vogelnester. Krüppelbäume. Kleine Inseln zähen Grünzeugs. Da und dort eine Eidechse, die sich in zaghaften und schwachen Sonnenstrahlen wärmte. Einige wenige Kool-Blüten, deren Pollengestank die Sinne eines Menschen verwirren konnten. Links von Kinga, keine zehn Meter unterhalb, befand sich eine ganze Kolonie der rotbraun getupften Blumen. Sie flatterten zaghaft im Wind…
    Ein Stofffetzen!
    Dicht neben der Blumenkolonie hing ein zerrissenes Stück Gazestoff, auf einen dornenbewehrten Ast gesteckt. Es starrte vor Schmutz, und dunklere Flecken mochten auf Blut hindeuten.
    »Dort müssen wir hin«, murmelte er, mehr für sich selbst bestimmt als für seine Begleiter.
    Der Tuchrest war Bestandteil von Lourdes’ Oberkleid gewesen. Es konnte kein Zufall sein, dass es ausgerechnet an dieser exponierten Stelle hing. Die Prinzessin hatte eine Fährte gelegt, in der Hoffnung, dass man einen Rettungsversuch unternehmen würde.
    ***
    Der Abstieg war um nichts leichter als ihre gestrige Etappe. Zwar neigte sich der Fels hier ein wenig nach außen, sodass sie stets Boden unter ihren Füßen verspürten. Doch war das Gestein spröde. Immer wieder brach es ab und erschwerte ihren Halt.
    Zehn Meter bis zu den Kool-Blüten. Weitere vierzig hinab bis zum nächsten Sims. Dort, wo die nächste Markierung auf den bleichen Knochen eines hier verendeten Nagers stak.
    Kinga spürte, wie der Respekt vor ihm wuchs. Zander fand kaum noch Gelegenheit, ihm irgendwelche Vorwürfe zu machen. Umsichtig und dennoch mit dem gebotenen Tempo führte der Triping eine rasch gefundene Route hinab.
    Er sah sich um, während die Männer schweigend ihr karges Frühstück zu sich nahmen. Der Sims war breit und befand sich geschätzt auf halber Höhe zwischen Oberkante und Grund der Großen Grube.
    »Menschenwerk«, murmelte Kinga. »Der Sims sieht so aus, als wären hier irgendwann Dampffahrzeuge entlanggefahren, um irgendetwas zu transportieren.« Er streichelte über glatt gehauenes und mit merkwürdigem Material überzogenes Felsgestein. Grobe Kieselkörner waren mit einer grauen, dünn aufgeschmierten Masse verbacken und verhinderten, dass Geröll daraus hervorbrach. Der Sims reichte weit nach links und rechts, um sich schließlich in schattiger Dunkelheit zu verlieren. Womöglich konnte man hier einen Kreis

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