VT05 - Tag der Vernichtung
Bremsen und stieß sie ihm in den Unterleib. Lupo warf sich bäuchlings auf die Liege, kroch über ihre ganze Länge, rollte sich über das Fußende ab und sprang herunter. Vera begriff nicht, wieso dieser zuckende tote Körper sich überhaupt auf den Beinen halten konnte.
Lupo hob die Säge und torkelte zu ihr. Vera wich zurück und prallte gegen den Defibrillator. Lupo senkte die Säge auf Veras Gesicht herab. Sie schrie, sah das rotierende Sägeblatt – und plötzlich verstummte der Elektromotor des Instrumentes.
Der Akku war leer.
Die Ärzte warfen sich von hinten auf Lupo. Der schlug mit der Säge nach links und rechts, und beide stürzten stöhnend zu Boden. Lupo packte Vera am Hals. Vergeblich versuchte sie sich gegen den mörderischen Griff zu stemmen, am Defibrillator entlang rutschte sie langsam zu Boden.
An der Tür zur Notaufnahme tauchten Polizisten auf und richtete Maschinenpistolen auf Lupo. Aus Angst, Vera zu treffen, schossen sie nicht.
Vera gab ihren Widerstand auf und ließ die kalten Handgelenke Lupos los. Während sie zu Boden glitt, erwischte ihre Rechte den Stromstärkeregler des Defibrillators und schob ihn bis zum Anschlag, auf 400 Joule. Im Fallen fasste sie die Kontaktelektroden.
Das grau-violette Totengesicht verschwamm schon vor ihren Augen, die Luftnot raubte ihr zunehmend die Kontrolle über ihre Muskeln – dennoch schaffte sie es irgendwie, die Kontaktelektroden zwischen sich und Lupo zu schieben. Mit letzter Kraft krümmte sie den Daumen und drückte auf den Auslöser.
Über Lupos Finger fuhr ihr selbst ein Stromstoß in den Hals.
Doch sie ließ den Knopf nicht los. Lupo gab sie sofort frei.
Zuckend rutschte er von ihr. Sie schrie, richtete sich auf, stemmte ihm erneut die Kontaktelektroden auf die Brust und drückte auf den Knopf. Der schmächtige, knochige Körper tanzte unter Veras Händen, während der Gleichstrom durch seinen Brustkorb floss. Wie eine leblose Puppe in der Hand eines wilden Kindes schüttelte sich Lupo unter Veras Fäusten.
Sie schrie ohne Unterlass, während sie ihm den Strom in den Körper jagte.
»Weg von ihm!«, brüllte ein Polizist irgendwann. Vera stieß sich nach hinten ab, zwei Maschinenpistolen bellten los, Geschossgarben zerfetzten Lupos Körper.
***
London, 1. September 2011
In der Flughalle kaufte Leila Dark die SUN. Noch auf dem Weg zur Ankunft schlug sie das Blatt auf. Leiche läuft Amok, lautete die Schlagzeile auf der dritten Seite, und der Untertitel: Amsterdam – Scheintoter ermordet elf Menschen in der Intensivstation.
Autor der ganzseitigen Reportage war Thomas F. Percival.
Leila wusste also, was geschehen war. Seit dem Abend des 29.
August hielt er sich in Amsterdam auf, und seitdem berichtete er auch aus der Amsterdamer Uniklinik; gestern und vorgestern sogar auf Seite eins. Sie hatten jeden Tag zwei Mal telefoniert.
Auf der Anzeigentafel für ankommende Flüge war für BA 345, Amsterdam – London, eine Verspätung von fünfundzwanzig Minuten angekündigt. Leila setzte sich in ein Bistro und trank einen Tee. Dabei blätterte sie die SUN durch.
Auf Seite sechs unter Auslandsnachrichten fiel ihr Blick auf das Foto eines bulligen Schwarzafrikaners in Kampfanzug und mit rotem Barett. Leidet Präsident Charles Poronyoma unter Verfolgungswahn?, fragte der Bilduntertitel. Leila überflog den ausführlichen Artikel. Offenbar errichtete der neue Staatschef von Tansania gerade eine Diktatur in seinem Land. Eine Säuberungswelle – was für ein widerliches Wort, dachte Leila – ging über Tansania hinweg. Menschenrechtsgruppen warfen Poronyoma und seinen Milizen Folterungen und Massaker vor.
Sie dachte an van der Groot. Falls er noch lebte, darbte er in einem tansanischen Gefängnis. Seufzend blätterte sie weiter.
Auf Seite neun fand sie einen Artikel über Meteoriten und Kometen und die Gefahr, die solche Himmelskörper für die Erde darstellten. Der Anlass des Artikels: Ein paar Tage zuvor hatten Astronomen einen neuen Kometen entdeckt.
Möglicherweise würde seine Bahn die Erdbahn in nicht allzu großer Entfernung kreuzen.
Der Autor summierte sämtliche bekannte Meteoriteneinschläge, erinnerte an das große Sauriersterben vor unvorstellbar vielen Zeitepochen, und berichtete über ein Programm der NASA, das sich mit der Möglichkeit eines Kometeneinschlags befasste. Ein Thema, das die Medien alle zwei Jahre neu durchkauten.
Langweilig.
Leila wollte weiterblättern, da blieb ihr Blick an einem Foto neben dem Artikel,
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