VT06 - Erstarrte Zeit
erleichtert; Carlo zeigte sich kooperativer als erwartet. Mit Vera van Dam würde er zum Schluss noch irgendwie fertig werden müssen. Jetzt also erst einmal der wilde Musiker. Van der Groot holte die Ampulle und die Spritzen aus der Tasche.
Im selben Moment schlug Carlo zu. Er traf den Wächter im Nacken, riss ihm das Gewehr von der Schulter und zielte abwechselnd auf van der Groot und die Wächter. »Waffen weg, oder es gibt eine Menge Toter hier!«
***
Kilimandscharo, 25. Februar 2012
Dagobert und vier Mann des Spähtrupps brachten den Mann spät am Abend. Er hatte gelbliche Haut, zitterte am ganzen Körper und stank nach Urin und Erbrochenem. Schon lange hatte Percival keinen derart verwahrlosten Menschen mehr gesehen.
»Wer sind Sie?«, fragte Percival. Der Mann klapperte mit den Zähnen.
»Er heißt Keller«, sagte Dagobert. »Sie haben ihn aus dem Bunker geschmissen.«
»Gebt ihm Wasser zum Waschen und zum Trinken«, wies Leila ein paar Frauen an, die sich um die Männer des Spähtrupps und ihren Gefangenen scharten. »Und essen soll er auch.«
Zwei Quellen hatten sie inzwischen gefunden, und die Jäger waren so erfolgreich, dass man mit dem Schlachten kaum noch hinterher kam. Die Höhle jedenfalls, in der das Fleisch geräuchert wurde, hing voll.
»Warmes Wasser«, sagte Bert Krieger. »Streut ein bisschen Salz hinein. Und man muss ihn warm einpacken. Der Mann ist ja vollkommen unterkühlt.«
»Haben Sie was zu trinken?«, keuchte Keller.
»Sie bekommen gleich eine Ration Wasser«, beschied ihm Leila.
»Ich meine… haben Sie auch… ich meine, haben Sie was Alkoholisches?«
»Nein«, sagte Percival schroff. Keller sank in sich zusammen. Mit knapper Geste bedeutete Percival den Frauen, Keller zum Waschen und Umziehen abzuführen. Sie blickten ihm hinterher.
»Er spricht hessischen Dialekt«, sagte Krieger.
»Er ist Alkoholiker«, sagte Dagobert.
»Wenn wir noch etwas von ihm erfahren wollen, sollten wir uns beeilen«, riet Roger Wilson. »Nicht mehr lange, und er rutscht uns ins Delirium.«
Percival schickte Männer los, die bei den Sippen in der Höhle nach Alkohol suchen sollten. Es gab keinen mehr, keinen Tropfen. Als man Willi Keller frisch gewaschen und gekleidet wieder zu ihnen brachte, zitterte er noch heftiger. Sein Blick war fahrig, seine Gesichtsmuskulatur zuckte. Mit seinen Fingern machte er seltsame reibende Bewegungen, gerade so, als würde er Seide zwischen den Fingerkuppen auf ihre Qualität prüfen.
»Wie kamen Sie aus dem Bunker, Keller?«, sprach Wilson ihn in lupenreinem Deutsch an. Percival fragte sich, ob es überhaupt eine Sprache gab, die dieser kokainabhängige Gelehrte nicht beherrschte.
»Keine Ahnung, haben Sie nicht was zu trinken?«
»Leider nicht. Gab es Streit unten im Bunker?«
»Keine Ahnung, ja. Vielleicht ‘ne Zigarette?«
»Alles weg, wir haben nur Wasser und Fleisch«, sagte Wilson wahrheitsgemäß. »Wer streitet denn da unten?«
»Keine Ahnung.« Er feixte, und es sah aus wie das Feixen eines Irrsinnigen. »Er hat Eddie in Salzsäure gebadet.« Kellers Sprache war verwaschen, man verstand ihn kaum noch.
»Wer?«
»Der Kaiser.«
»Was für ein Kaiser?« Wilson runzelte die Stirn.
»Der Kaiser halt. Doc will ihn weghaben, glaub ich. Habt ihr echt nichts zu trinken?« Er grinste irre und blickte sich um.
»Leider nicht. Wer ist Doc, und wen will Doc weghaben?«
»Bin ich Jesus? Doc ist ein gerissener Hund, er hat’s auf den Kaiser abgesehen.« Keller stand auf. »Ich brauch mal ein Taxi zum Marktplatz. Könnt ihr mir eins rufen? Ich muss nach Frankfurt. Ich muss dringend was trinken.«
»Es gibt keine Taxis mehr«, sagte Bert Krieger.
»Keine Taxis?« Keller wirkte irritiert.
»Wir rufen dir gleich ein Taxi, Mann!«, rief Dagobert. »Warte vor dem Haupteingang auf dem Bürgersteig.« Er und die Männer vom Spähtrupp verständigten sich mit Blicken. Sie führten den zitternden Willi Keller zum Höhleneingang.
»Er ist schon halb im Delirium«, sagte der Oberstudienrat kopfschüttelnd. »Spricht von Salzsäure und Kaisern. Der Mann braucht dringend ein Neuroleptikum.«
»Kannst ja mal in der nächsten Apotheke anrufen, Mann.« Dagobert grinste bitter.
»Keller wird umkommen da draußen.« Leila stand auf.
»Er wird sowieso umkommen.« Dagobert hielt sie fest. »Warum soll er zuvor noch unser Fleisch essen und unser Wasser trinken?«
Mit offenem Mund blickte Leila zu Percival, doch der sagte keinen Ton.
»Wir wissen jetzt, dass es
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