Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Vulkanpark

Vulkanpark

Titel: Vulkanpark Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gabriele Keiser
Vom Netzwerk:
Jungen das Fahrrad weg und
warf es ins Feld.
    »Was
machen Sie denn?«, zeterte der Junge. »Das Fahrrad ist ganz neu. Meine Mutter
hat es vor ein paar Tagen erst gekauft.«
    »Jetzt
ist es Schrott«, sagte er in barschem Ton. »Du kommst mit mir.« Er packte das
Kind am Handgelenk, zog es zu sich ins Auto und drückte es auf den
Beifahrersitz, schnallte es an.
    »Wo
fahren Sie denn hin?« Ein ängstlicher Blick streifte ihn.
    »Das
wirst du schon sehen.«
    »Aber
meine Eltern … die machen sich Sorgen.«
    »Maul
halten!«, befahl er und bemerkte mit Genugtuung, wie der Junge zusammenzuckte.
    »Komm
ja nicht auf dumme Gedanken!« Aus den Augenwinkeln beobachtete er, wie der
Junge sich verängstigt in den Beifahrersitz kauerte.
    Diesmal
verlief alles wie geplant. Seine Vorbereitungen machten sich bezahlt und seine
Einschätzung war richtig gewesen. Er fuhr an den Ort, an dem er sich sehr gut
auskannte. Vor dem Aussteigen klebte er dem Jungen Heftpflaster auf den Mund
und fesselte ihn. Dann zerrte er ihn aus dem Auto.
    Doch
der Junge erwies sich als widerspenstig. Er versuchte heftig, sich zu wehren
und machte sich vor Angst in die Hose. Wie besoffen stolperte er neben dem Mann
her. Als sie die Höhle erreichten, deren Eingang verborgen hinter dichtem
Gestrüpp lag, zog er das Heftpflaster von dem Mund des Jungen ab, der sofort
laut zu schreien begann, obwohl er es ihm ausdrücklich verboten hatte. Ein
Schrei, der in den Ohren gellte und von dem er hoffte, dass das Rauschen des
Wassers ihn übertönte. Schnell stopfte er dem Kind ein Papiertaschentuch in den
Mund und drängte es zu Boden. Er war es, der bestimmte, ob jemand schrie oder
still war.
    Dass er
das Kind in seiner Gewalt hatte, erregte ihn ungeheuer. Schweiß lief an ihm
hinunter. Im Inneren der Höhle war es kühl, er roch feuchten Boden. Wie in
Trance tat er sein Werk. Begann, die Kleidung des Jungen abzustreifen. Er
handelte unter Zwang, fühlte sich wie im Traum und wusste gleichzeitig, dass
alles real war. Etwas in ihm war explodiert, etwas, das nicht mehr zu stoppen
war. Und das er auch nicht mehr stoppen wollte.
    Der Junge
wehrte sich weiterhin heftig. Das konnte er nicht hinnehmen. Nie die Kontrolle
verlieren. Die Kontrolle verlieren, ist tödlich.
    Plötzlich
roch er Eisen. Mit dem Blut hatte er nicht gerechnet. Jedenfalls nicht so. Er
verstand das nicht. Diesmal hatte doch alles gestimmt und dennoch war es wieder
ganz anders als in seinen Fantasien. Aber er hatte einfach weitergemacht,
obwohl der magische Moment vorbei war. Schließlich hatte er sich gezwungen,
wegzusehen.
    Ernüchterung
kehrte ein. Der Ernüchterung folgte die Scham. Und die Gewissheit, dass das,
was er getan hatte, niemand erfahren durfte. Niemand.
    »Es tut
mir leid«, flüsterte er und streichelte den nackten Arm des still daliegenden
Jungen. »Es tut mir so leid.« Sein Hemd klebte an seinem Körper. Er zitterte und
fror. Tränen liefen ihm die Wangen herunter.
    Den
Anblick konnte er nicht länger ertragen. Er zerrte die Rolle Mülltüten aus dem
Plastikbeutel. Verpackte das leblose Bündel. Seine Hände und das Messer wischte
er an dem T-Shirt des Jungen ab.
    Der
Film in seinem Kopf war zu Ende.
    Er
zitterte. Er bebte. Und fühlte sich vollkommen leer.
    Durfte
ein Mensch solche Wünsche haben?
    Wahrheit,
was war schon Wahrheit. War der Tod Wahrheit? Oder das Leben. Was konnte er
dafür, dass sich die Moralvorstellungen der anderen nicht mit den seinen
deckten? Dass er Lust empfand, wo andere sich mit Abscheu abwandten?
    Angst,
Lust und Selbstekel zerrten an ihm, bildeten ein Konglomerat, das zäh an ihm
klebte. Einerseits fürchtete er sich vor dem Blick in den Spiegel, weil er Angst
hatte, darin einen anderen, ihm bisher unbekannten Menschen zu erblicken.
Andererseits fühlte er sich erhaben, schließlich hatte er eine Grenze
überschritten und etwas Außergewöhnliches getan. Er wusste nun, was es
bedeutete, Herr über Leben und Tod zu sein.
    Doch
seit der Sache war er gezwungen, sich noch mehr wie ein Schauspieler zu
verhalten. Er fand, dass er eine verdammt gute Rolle spielte. Eine Rolle, die
absolut nicht einfach war.
    Sie
dürfen mich nicht kriegen! Auf gar keinen Fall wollte er in den Knast. Alles,
nur das nicht. Da landeten solche wie er auf der alleruntersten Stufe. Das war
ihm bekannt.
    Sie
werden mich nicht kriegen, dachte er zuversichtlich. Wenn ich keinen Fehler
mache, kriegen sie mich nicht.
    Plötzlich
schob sich sein eigenes Konterfei vor das des fremden

Weitere Kostenlose Bücher