Wach auf, wenn du dich traust
beinahe gegen alles gewappnet. Wer brauchte schon ein Handy. Sogar eine kleine LED-Taschenlampe war dabei.
Plötzlich sah sie ein Leuchten über Debbies Gesicht gehen. Jenny folgte ihrem Blick und begriff, warum: Der Schwarzhaarige war aufgestanden. Langsam ging er nach vorn, wo Markus ihm eine Plastikbox in die Hände drückte. Das war also Silvio.
»Silvio wird jetzt alles einsammeln, was ihr an medialem Ballast mit euch herumtragt«, sagte Markus. Den Protest ignorierte er mit einem Lächeln und einer Handbewegung, die wohl etwas bedeuten sollte wie »Wir sind hier doch kein Kindergarten, sondern so was wie erwachsene Menschen«.
Silvio begann, durch die Reihen zu gehen und alle Sachen, die ihm mehr oder weniger freiwillig entgegengestreckt wurden, in die Box zu werfen.
Deborah schien kurzatmiger zu werden, je näher er an ihre Sitzbank kam. Jenny ertappte sich dabei, wie sie selbst ebenfalls Herzklopfen bekam. Hoffentlich blamierte sich Debbie nicht, sie konnte manchmal so ungeschickt sein!
Aber die Übergabe der Handys verlief reibungslos, Silvio lächelte sie sogar kurz an, als Debbie das Handy nicht losließ, Silvio es aber schon in der Hand hatte. »Cooles Smartphone, das würde ich auch ungern abgeben«, sagte er. Debbie war knallrot geworden, doch da war Silvio schon weitergegangen.
Den Rest der Fahrt zerbrach sich Jenny den Kopf, wie sie Debbie entweder mit Silvio verkuppeln oder aber sie davon abhalten konnte, ins Unglück zu rennen. Wenn sie ihre Freundin so von der Seite her ansah, wie sie mit verklärtem Blick vor sich hin stierte, fragte sie sich, ob sie überhaupt noch etwas anderes tun konnte, als zu beten, dass Silvio ohne großen Nachhilfeunterricht Debbies Qualitäten erkannte.
Ohne Handys, mit denen sie sich beschäftigen konnten, stieg der Lärm im Bus schnell auf ein ohrenbetäubendes Maß an. Jenny wunderte sich, dass Markus dabei so ruhig bleiben konnte. Papierkügelchen und Kleidungsstücke flogen durch die Gegend, Sabrina und Tanja, zwei Mädchen, die Jenny von der Parallelklasse kannte, versuchten mit Oberlehrerinnenblick, die Verursacher ausfindig zu machen. Die hintere Reihe begann irgendwann in Ermangelung von MP3-Playern, selbst laut und falsch zu singen. Markus schritt kein einziges Mal ein, im Gegenteil. Jenny sah, dass er sogar Beate davon abhielt, für Ordnung zu sorgen. Er schien tatsächlich seine eigenen Vorstellungen davon zu haben, wie eine Jugendgruppe zu führen war.
Jenny war heilfroh, als sie eine Stunde später endlich aussteigen konnte. Sie atmete tief die Waldluft ein und genoss die Ruhe, die von der Natur ausging. Wolfsbacher Stausee, dachte sie. Wo war hier überhaupt ein See? Ringsherum konnte sie jedenfalls nicht die Spur Wasser entdecken.
Alle drängelten sich um das Gepäckfach. Jenny bog den Rücken durch und streckte sich. Sie fühlte sich völlig zerknautscht. Mit dröhnendem Kopf stellte sie sich zu Deborah und den anderen, um ihren Rucksack entgegenzunehmen.
»Wir gehen jetzt zum Platz, stellen die Zelte auf und werden uns schon mal um ein Feuer kümmern«, sagte Markus.
Sie trabten los, in der Mitte einen Wagen ziehend, auf dem sich die Gemeinschaftszelte und allerlei Ausrüstungsgegenstände türmten. Nach zwanzig Minuten Fußmarsch auf dem Waldweg, der vom Busparkplatz abging, öffnete sich der Blick endlich auf den See.
»Wow! Nicht schlecht«, sagte Debbie.
Der Zeltplatz erstreckte sich am Ufer entlang, an drei Seiten von dichtem Wald eingefasst.
Jenny atmete tief ein.
»Sieht ja richtig nach Urlaub aus«, stimmte sie Deborah zu und sah sich um. Weit und breit gab es nichts als Wald, Wiese und Wasser. Und der Himmel war blau.
»Ein paar Palmen fehlen noch«, sagte Debbie, »und Wellenrauschen. Dann wäre es einfach perfekt.«
Jenny ließ den Rucksack ins Gras fallen.
»Noch besser wäre, wenn wir eine Woche lang am Strand liegen könnten«, fuhr Debbie schwärmerisch fort.
»Ach was«, sagte Jenny und legte einen Arm um ihre Freundin, »wär doch langweilig.«
Es war eine gute Idee gewesen mitzukommen, dachte sie. Vielleicht würde es eine perfekte Woche werden. Perfekte Ferien. Ein perfekter Sommer. Und überhaupt: ein perfektes Leben. Sollte Tizian doch knutschen, wen er wollte.
Zum ersten Mal wurde Jenny so richtig bewusst, dass sie jetzt eine Woche lang draußen sein würde. Und sie fand den Gedanken beinahe berauschend.
»Was ist das eigentlich?«, fragte sie und deutete auf das einzige Gebäude weit und breit: ein lang
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