Wach (German Edition)
rotierte im Fleisch. Es tat entsetzlich weh, Rattigan Glumphoboo liefen Schmerzenstränen übers Gesicht. Aber sie riss sich zusammen und schaltete die Bohrmaschine aus. Dann stellte sie sie auf die niedrigste Stufe und legte den Hebel für die Bohrrichtung um. Und dann – machte sie die Maschine wieder an und zog den Bohrer langsam, ganz gerade aus ihrer Hand heraus; und mit ihrem siebenundfünfzigfarbigen Seidentuch verband sie das blutende Loch in ihrer Hand.» «Hm», sagt Salome, «kann man nicht meckern.»
Schweigend gehen sie weiter. August schaut Passanten und Fassaden an, die Gegend, in der Manja mit ihren Kindern wohnt, ist viel billiger als sein Viertel. Auf einem Baugerüst sitzt ein Anstreicher mit einem Kofferradio und hört Eine kleine Nachtmusik. In einem Park stehen phlegmatische Grünflächenarbeiter, einer schiebt langsam eine Schubkarre, Mahnmäler der Trägheit. Aber sie müssten doch um halb sechs schon Feierabend haben? Fehlt ihnen sogar die Energie, nach Hause zu gehen? Es ist ja auch immer noch sehr heiß. Plötzlich beginnt es auf seinen Schultern zu wackeln und zu hüpfen. «Gogel!», ruft Pit aufgeregt, «Gogel!» August versteht nicht, was Pit sagen will, und setzt ihn ab. Pit kreist mit den Armen und wiederholt: «Gogel!» August versteht nicht, Pit wird ärgerlich: «Gogel! Gogel!», und fuchtelt Richtung Himmel, und dort oben sieht August einen Vogel mit schwarzgeflecktem Bauch und spitzen Flügeln, mit gespreiztem Schwanz, auf der Stelle rüttelnd. Die Augen zusammengekniffen, weil es so hell ist, schauen August, Pit und Salome zum wolkenlosen Himmel. August stellt sich vor, wie der Vogel aus der Höhe die Stadt wahrnimmt: nicht als Gebilde aus Straßen, Wohnblöcken und Grünanlagen, sondern als natürliche Formation, in der sich kleine Tiere verbergen; mit einem solchen ganz anderen Grad von Schärfe würde August gern einmal auf die Stadt und in die Stadt hineinschauen. «Nur ein Falke», sagt Salome, «sie leben auf Kirchtürmen.» «Gogel fiegen», sagt Pit.
Auf dem Spielplatz entdeckt Salome eine Freundin und rennt davon, Pit klettert auf ein Holzgerüst mit einer Wasserpumpe, August setzt sich auf eine Bank am Rand, von wo er beide Kinder im Blick hat. Der Platz grenzt an eine Brachfläche, auf der Sand sich mischt mit Glasscherben und verwehtem Müll, Disteln und Grasbüscheln. Vor der Bank liegen Zigarettenstummel, stammen sie von nächtlichen Trinkern oder von Müttern? Spatzen picken in verstreuten Krümeln und Chipsbröckchen, hinter der Bank knabbern zwei Mäuse an einem Stück Toastbrot, vor einem Haselstrauch liegt ein Kondom. Auf dem Spielplatz ist viel los. August gefallen die großen Busen der jungen Mütter. Auf der Bank neben ihm halten zwei Frauen Babys im Arm und sprechen über Rückbildung. Eine andere hat ihren Säugling an der Brust, mit einem Arm stützt sie ihn, mit der freien Hand hält sie ein gelbes Buch: Ich werde auf eure Gräber spucken . Auf der angrenzenden Straße fährt ein Polizeiauto vorbei, ein Kleinkind ruft: «Polizei!» Ein blonder Junge beugt sich über das untere Ende einer Rutsche und lässt Spucke aus seinem Mund fließen, mit großer Hingabe, er hat die Welt um sich vergessen. Ein dicker Junge trägt beim Herumtoben eine große Tüte Chips mit sich, in die er rennend hineingreift, er stopft sich den Mund voll, dass die Krümel stieben. Sogar als er eine Strickleiter hinaufklettert, hält er die Tüte fest, er benutzt nur eine Hand zum Klettern und braucht sehr lange. Es liegen Ausdauer und eine gewisse Geschicklichkeit in seiner umständlichen Aktion, der Junge erinnert an einen Behinderten, der seine Beeinträchtigung durch hartnäckiges Üben zu überwinden gelernt hat.
Plötzlich verwandelt sich die Szenerie in einen Reigen von Drangsalierungen: Ein barfüßiges Kind zwingt einen Mann, sich auch die Schuhe auszuziehen. Einem Kind, das neben Pit im Takt der Pumpe hüpft, wird von einer Frau zugerufen: «Nicht hüpfen beim Pumpen!» Einem Kind, das sich auf den Bauch legt, wird befohlen, nicht im Liegen, sondern im Sitzen zu rutschen. Ein sehr kleines Kind, das unsicher auf ein Gebüsch zutapst, wird von einer wütenden Frau am Arm gepackt: «Du weißt, dass ich Heuschnupfen habe!» Ein junges Paar traktiert gemeinsam ein Kind, der Mann zwingt ihm einen Sonnenhut auf den Kopf, die Frau wischt ihm mit einem nassen Tuch die Nase ab, vergeblich windet sich das Kind in der doppelten Bedrängung. Eine Frau fragt ein herumrennendes Kind:
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