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Wach (German Edition)

Wach (German Edition)

Titel: Wach (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Albrecht Selge
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«Willst du eine Banane essen?» «Nein», sagt das Kind und läuft weiter; die Frau verfolgt es und zieht es am Kragen, fragt wieder und hält ihm die geschälte Banane an den Mund, bis das Kind nach einiger Zeit resigniert, sich die Banane in die Hand geben lässt und sie, erstarrt und stumm, aufisst.
    So plötzlich, wie sie gekommen sind, verflüchtigen sich die Nötigungen. Jetzt beobachtet August einen kindischen Vater, der nicht einfach mit seinem Kind spielt, sondern so tut, als wäre er selbst eins, er plappert mit überdrehter Quiekstimme und turnt auf Spielgeräten herum. Der blonde Junge an der Rutsche hat aufgehört zu spucken und blickt sich, wie aus einem Traum erwacht, erschrocken um; dann nimmt er Sand und lässt ihn auf die Spucke rieseln, wieder und wieder, bis der ganze Teich trockengelegt ist. Salome spricht hinter einem Baum mit zwei Freundinnen. Pit lungert stets in der Nähe der Pumpe; immer wenn die älteren Kinder sie freigeben, springt er heran und lässt Wasser laufen. August fällt die Rücksicht der Großen auf: Obwohl der Kleine ihnen lästig sein muss, überlassen sie ihm gelegentlich den Schwengel, einmal greift ihm sogar ein Mädchen von hinten unter die Arme und hebt ihn mit großer Anstrengung hoch, damit er besser rankommt. August schaut auf die Wasserlandschaften der Großen im Sand, Systeme aus sich verzweigenden Kanälen und Seen, und sieht zu, wie das Wasser den Formen folgt, die es findet; wenn ein Großer wild pumpt, dann rauscht das Wasser, stürzt steile Rinnen hinab, überflutet Löcher, Kuhlen und Gruben; zwei Läufe fließen ineinander und vereinigen sich zu einem Fluss, dann stößt das Wasser auf einen Stein, ändert seine Richtung, fließt um einen anderen Stein herum, teilt sich, strömt wieder in eins; gerade da schafft ein Kind zwischen zwei Kanälen eine neue Verbindung, sogleich ändert das Wasser seine Richtung.
    August würde gern den ganzen Spielplatz überblicken. Er beobachtet die Bewegung zwischen Verkaufshäuschen und Bäumen, Klettergerüst und Rutsche, ein Schwanken im Sand, und doch vollendet. Auf einmal erscheint ihm sein eigener Körper abwegig groß, plump, ein schwerfälliger Koloss oder verrostetes Riesendampfschiff aus Vorzeiten, ein Ächzen und Knarren, irrwitzig, was er mit sich herumschleppt, achtzig Kilo, fünfunddreißig Jahre, und Erinnerungen: Ein Kind liegt wach im Bett und horcht in die Nacht, da hört es in der Küche die Mutter mit Geschirr klappern, Schränke öffnen und schließen, abwaschen, aufräumen, und die Geräusche aus der Küche geben ihm die Gewissheit, zu Hause zu sein; und noch die Erinnerung an diese Geräusche weckt eine Art Heimweh. Er streckt sich, im Sitzen. Er lässt vorsichtig den Kopf kreisen. Er lässt, mit angewinkelten Armen, die Schultern kreisen. Er steht auf und lässt den Rumpf kreisen. Er lässt die Arme kreisen, erst gebeugt, dann ausgestreckt, vorwärts, rückwärts. Am Baum neben der Bank sieht er einen dicken Ast, ihm ist, als könne er Teil der schwankend-vollkommenen Bewegung der Kinderwelt werden, als könnte das Denken seinen Kopf verlassen und um alle Dinge herumfließen; da hängt er sich an den Ast, im Gefühl, die Stärke des Baums werde in seine Arme fließen; und wie seine Arme ihn halten und seine Füße über dem Boden baumeln, spürt er eine angenehme Wärme in vergessenen Muskelgegenden, im oberen Rücken, in den Schultern; sein Rumpf ist verkrampft im Rumsitzen und Rumgehen, beides, Rumsitzen und Rumgehen, lässt ihn verwachsen, denkt er, und der Schlafentzug überspannt und übersäuert ihm Muskeln, Sehnen, Gelenke. Er könnte einen Klimmzug machen. Er schaut geradeaus. Der Spielplatz hat sich schon etwas geleert, im Sand liegen verlorene Dinge: eine glitzernde Spange, Schippen, ein rotes Sieb. Da – wie August baumelt und guckt: geht neben ihm ein jähes Rauschen nieder, etwas Schrilles kreischt auf, zugleich ein jammervolles Piepsen. August hängt ganz still. Nur wenige Meter entfernt sitzt im Sand ein Falke. Eine Reglosigkeit von halber Unendlichkeit, unter seinen Krallen kein Mucks; eine Weile ist alles still, dann schwingt der Falke sich auf. August kann nicht erkennen, was er davonträgt, schon ist er über den Dächern verschwunden. Wo er eben noch saß, ist der Sand aufgewühlt, dünne Rillen sind hineingezogen; wer die Szene nicht gesehen hat, müsste denken, sie stammen von der Harke eines spielenden Kindes.
    August schaut zu den Müttern und Kindern, die noch auf dem

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