Wach (German Edition)
geschnitten hat und in die Luft gegriffen und gesabbert und gebrabbelt; später, hat sie gedacht, wird es lachen und gehen und reden, und ich, ich bin seine Mutter. Und dann hat sie gedacht und denkt es immer wieder, jeden Tag: Ach , es ist alles schön – und dass es schlimm ist, sein Leben gering zu schätzen. Wenn sie alt sein wird, wird sie sagen, das sind die glücklichsten Tage ihres Lebens gewesen; und sie wird recht haben damit.»
Ein Mann geht durch die Halle und guckt in Mülleimer, wühlt, zieht hier und da eine leere Flasche heraus und steckt sie in eine Plastiktüte. August gefällt dieses sammelnde Streunen, aber als der Mann sich dem Papierkorb neben seiner Bank nähert, fürchtet er, der Mann könnte stinken, und ist froh, als er weitergeht. In der Regionalbahn sind Pit und Salome krakeelend durch den Wagen getobt; eine ältere Frau schaute mehrmals kopfschüttelnd zu ihnen herüber, und nach einer Weile sagte Manja zu August: Beim nächsten Mal sprech ich sie an. Auf dem Weg zum Ausgang kamen sie an der Frau vorbei, die aus dem Fenster guckte und auch beim Hinausgucken den Kopf schüttelte, da begriffen sie, dass die Frau eine Krankheit hatte. Ich schäme mich, sagte Manja auf dem Bahnsteig. August zog den großen Koffer, Pit saß samt Rucksack mit Löwengesicht auf seinen Schultern und schniefte, Salome hatte einen zartrosa Trolley und Manja eine Sporttasche und den Geigenkasten. Auf der Bank gegenüber sitzt eine junge Araberin im roten Trainingsanzug und wirkt unabgeholt; immer wieder nimmt sie ihr Handy aus der Tasche und schaut nach, ob ihr jemand geschrieben hat. Während August sie beobachtet, kommt der Flaschensammler zurück und macht die gleiche Runde wie zuvor. August denkt, die Mühe lohnt doch kaum, es ist doch unwahrscheinlich, dass in den paar Minuten eine Pfandflasche weggeschmissen worden ist. Und wirklich findet der Mann nichts, er wühlt auch nicht mehr, schaut nur sehr nachlässig in die Abfallkörbe, es ist, als sähe er vor Hoffnungslosigkeit gar nicht richtig hin; der Mann ginge also rum, nicht um zu sammeln, sondern weil er nichts anderes zu tun hat, es würde sich um ein doppeltes Streunen handeln, ein Streunen im Streunen, der Mann wäre, denkt August, ein streunender Streuner. Oder ist es ganz anders: Ist es bloß seine Gewohnheit, den Rundgang mit einer Kontrolle abzuschließen, ob er eine offensichtliche Flasche übersehen hat? Das wäre umsichtig. Das Flugzeug muss jetzt in der Luft sein. Als sie im Café gewartet haben, hat Salome in einem Buch gelesen, Pit unter dem Tisch gehockt und mit Klötzen aus dem Löwenrucksack einen Turm gebaut, und Manja sagte zu August: Sechs Wochen sind übrigens nur zweiundvierzig Tage.
Als August das Flughafengebäude verlässt, entdeckt er eine märchenhaft nahe Peripherie, eine Art Nicht-Ort: eine Piniengruppe, nur zwanzig Meter vom Weg. Trotz der Herbsttrübnis stehen die Pinien in voller Klarheit (aber hier? Sind die denn winterhart?). Es ist wunderbar, sich ins Straßenbegleitgrün zu stellen. Eingekesselt von parkenden Autos befindet er sich an einer unbetretbaren Stätte, in ihrer bloßen Sichtbarkeit allen Augen entzogen. Er bildet sich ein, keines Menschen Fuß habe je diese Grünfläche berührt (Grünpfleger ausgenommen, natürlich; im nächsten Leben wäre er gern Arbeiter im Begleitgrün). Als er um die Pinien herumgeht, auf nadelbedecktem, weichem Boden, bemerkt er in der Deckung eines Baumstamms ein Loch in der Erde. Hat sich hier ein Fuchs seinen Bau gebuddelt, auf fünfzig Quadratmetern Grün inmitten einer Betonwüste? Das Loch ist geräumiger als gedacht, mehrere Tüten voll leerer Flaschen stehen darin; der streunende Streuner scheint hier seinen Speicher zu haben.
Wieder im Bahnhof, beschließt August, noch nicht auf den Bahnsteig zu gehen und in die Stadt zurückzufahren, sondern den Ausgang auf der anderen Seite zu nehmen, die dem Flughafen abgewandt ist. Dort hat er noch nie jemanden durchgehen sehen. Am Ausgang hängt ein nagelneues Schild, auf dem Zum Rathaus steht. Draußen führt ein eingezäunter Weg durch eine Graslandschaft mit kleinen Ruinen, verfallenen Werkstätten, einem winzigen verrosteten Kran, Containern. Eine Tafel warnt: Eingeschränkter Winterdienst . Der Weg führt hoch auf eine Straße ohne Fahrbahnmarkierungen. Am Rand stehen Autos geparkt, etwas Müll liegt herum. Links führt die Straße zu ein paar Plattenbauten, das muss der Ort mit dem Rathaus sein; rechts führt sie, in einiger
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