Wach nicht auf!: Roman (German Edition)
normalerweise verschreibe ich diese beiden bestimmten Medikamente nicht miteinander.«
»Sind die Substanzen inzwischen abgebaut?«
»Auch das ist wieder schwer zu sagen. Jeder Patient ist anders. Halten Sie ein Auge auf sie, und rufen Sie mich umgehend an, falls es irgendwelche Probleme gibt.«
Anne sah Dr. Douglas nach, als er ins nächste Untersuchungszimmer trat. Sie lehnte sich gegen die Wand und atmete tief ein. Wer hätte gedacht, dass dieser Job eine solche Dramatik entwickeln würde. Sie war noch nie so in das Leben eines Patienten hineingezogen worden. Bisher hatte sie einfach ihre Arbeit gemacht und war dann nach Hause gegangen. Das war diesmal anders. Mit jedem Tag wurde sie tiefer in Sams Kämpfe verwickelt, und dabei ging es nicht nur um die Wiedererlangung ihrer körperlichen Fähigkeiten. Dank der letzten Tage stand sie Sam nun in der Schlacht, sich der Kontrolle ihrer Familie zu entziehen, zur Seite. Sie stieß sich von der Wand ab und ging zur Tür. Aber bevor sie sie aufmachte, blieb sie kurz stehen und betete, dass sie und Sam diesen Kampf gewinnen würden.
Sie waren fast schon beim Wagen, als jemand Annes Namen rief. Sie drehte sich um und sah Edward Dunlap, der eilig auf sie zukam. Sie blieb stehen und wartete auf ihn.
»Edward«, sagte sie überrascht. »Sind Sie hier, um Dr. Osgood aufzusuchen?«
Er rieb sich den Arm, und sein Blick huschte zu Sam und dann gleich wieder weg. »Da war ich gerade.«
»Und?«, fragte Anne hoffnungsvoll.
»Er hat mich nicht ermutigt«, antwortete er kopfschüttelnd, und Anne spürte, wie ihre Hoffnung erlosch.
»Das tut mir leid«, sagte sie und legte ihm die Hand auf den Arm. »Hatte er irgendwelche Empfehlungen?«
»Ach. Er hat vorgeschlagen, dass ich es mit einem Schmerzmanagement-Programm versuche.« Er scharrte mit den Füßen. »Aber dazu müsste ich nach Minneapolis fahren.«
»Gut, dann fahren Sie doch hin.«
»Das geht nicht. Ich habe hier zu viel zu tun.«
Anne ließ aufgebracht die Hand sinken. »Edward, ich habe Ihnen doch schon gesagt, dass Sie sich auch um sich selbst kümmern müssen. Ihre Mutter kommt auch mal ein paar Stunden ohne Sie zurecht.«
Er stieß ein bitteres Lachen aus. »Da haben Sie bestimmt recht. Meistens bin ich wohl eher eine Last als eine Hilfe, aber Widerstand ist zwecklos, Anne.«
»Das stimmt nicht!«, rief sie aus.
Er überging ihre Behauptung und wandte sich Sam zu. Nun scharrte er nicht mehr mit den Füßen und musterte aufmerksam ihr Gesicht. »Sie erinnern mich an jemanden.« Seine Stimme war jetzt nur noch ein Flüstern. »Warum haben Sie bei der Party diesen Song gesungen?«
Sam wechselte verlegen die Haltung, und ihre Augen wanderten zu Anne.
Wie sollte Sam Edwards Frage beantworten, wenn sie sich gar nicht an ihre Vorführung erinnerte? Anne suchte nach einer Möglichkeit, Sam aus der Verlegenheit zu helfen, doch es fiel ihr nichts ein.
»Ach, ich weiß nicht«, antwortete Sam betreten.
Edward schaute an Sam vorbei und streichelte dabei seinen nutzlos herabhängenden Arm. Sein Gesicht nahm einen abwesenden Ausdruck an. »Es war ihr Lieblingssong.«
Anne zog die Augen zusammen. Wessen Lieblingssong?
»Edward«, versuchte sie ihn sanft in die Gegenwart zurückzuholen. »Von wem reden Sie?«
Seine Miene änderte sich nicht. »Blanche.« Er stieß den Namen hervor.
»Blanche Jones?«
»Sie hat ›Make Me Your Baby‹ geliebt.« Er sah Sam wieder an und trat einen Schritt auf sie zu. »Sie hat den Song ebenfalls auf Partys gesungen.«
Seine Worte hatten eine eigenartige Wirkung auf Sam. Ihr Gesicht erbleichte, und sie wich zurück.
Annes Blick schoss von Sam zu Edward, und sie versuchte herauszufinden, was da eigentlich los war. Es war, als dächten beide an etwas, wovon Anne keine Ahnung hatte, aber wie sollte das möglich sein? Bis zu Fritz’ Party waren sie einander noch nie begegnet.
Edward starrte Sam weiter an. »Du bist zurückgekommen, um Ärger zu machen, nicht wahr?« Plötzlich sackten seine Schultern nach unten, und er machte auf dem Absatz kehrt. Mit gesenktem Kopf schlurfte er über den Parkplatz davon.
Anne wollte ihm nachgehen, ihn fragen, warum er so niedergeschlagen wirkte. Dr. Osgood hatte ihm nicht die Antwort gegeben, auf die sie gehofft hatte, aber sie wusste, dass es möglich sein musste, ihm zu helfen. Sie musste nur herausfinden, wie. Sie blieb stehen, blickte sich nach Sam um und schaute dann wieder Edward nach, der inzwischen auf der anderen Seite des Parkplatzes war.
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