Wachen! Wachen!
eindeutig das Zimmer einer Frau, die ihr gewohntes Leben fortsetzte, ohne jemals Trübsal zu blasen, während die schmalzigen romantischen Dinge anderen Leuten vorbehalten blieben. Die hier wohnende Frau gab sich allein mit ihrer Gesundheit zufrieden.
Die sichtbare Kleidung diente nur praktischen Zwecken und schien von einer früheren Generation zu stammen. Sie wurde keineswegs den Erfordernissen leichter Artillerie im Krieg der Geschlechter gerecht. Auf der Frisierkommode standen einige ordentlich aneinandergereihte Flaschen und Krüge, aber ihr schlichtes, fast ernstes Erscheinungsbild deutete darauf hin, daß die Etiketten Aufschriften wie ›Jeden Abend gut einreiben‹ und nicht etwa ›Ein Tröpfchen hinters Ohr‹ trugen. Mann konnte sich mühelos vorstellen, daß die Bewohnerin des Zimmers ihr Leben lang in diesem Bett geschlafen hatte und bis zu ihrem vierzigsten Geburtstag vom Vater ›mein kleines Mädchen‹ genannt worden war.
Hinter der Tür hing ein großer blauer Morgenrock. Mumm brauchte gar nicht hinzusehen, um zu wissen, daß die eine Tasche das Stickmuster eines Kaninchens aufwies.
Mit anderen Worten: Es war das Zimmer einer Frau, die nie damit rechnete, daß ihr dort einmal ein Mann Gesellschaft leistete.
Dutzende von Blättern lagen auf dem Nachtschränkchen. Mumm spürte gelindes Schuldbewußtsein, als er einen Blick darauf warf.
Es ging ausschließlich um Drachen. Einige Briefe stammten vom Ausstellungskomitee des sogenannten Höhlenklubs, andere von der Vereinigung freundlicher Flammenwerfer. Mumm betrachtete Broschüren und Mitteilungen vom Sonnenscheinheim für kranke Drachen – ›Der arme kleine Vinny konnte fast überhaupt kein Feuer mehr spucken, nachdem man ihn fünf grausame Jahre lang als Abbeizer verwendete…‹ Außerdem gab es Spendenaufrufe, Appelle, persönliche Schilderungen, Berichte und andere Dinge, die folgenden Schluß zuließen: Lady Käsedicks Herz war groß genug, um der ganzen Welt Platz zu bieten – zumindest jenem Teil, der Schwingen hatte und Feuer atmete.
Wenn man über solche Zimmer nachdachte, kam es irgend wann zu sonderbaren emotionalen Reaktionen. Man fühlte Kummer und ein eigentümliches Mitleid, das einen schließlich vermuten ließ, es sei eine gute Idee, die ganze Menschheit auszulöschen und mit Amöben noch einmal von vorn zu beginnen.
Neben den Blättern lag ein Buch. Mumm verrenkte sich fast den Hals, als er den Titel zu lesen versuchte.
Drachenkrankheiten
von Sybil Deidre Olgivanna Käsedick.
Entsetzte Faszination erfaßte den Hauptmann, als er den dicken Band öffnete und mit einem Universum verblüffender Probleme konfrontiert wurde. Schieferkehle. Schwarzer Widder. Trockenlunge. Schauder. Schwanker. Werfer und Schlepper. Großes Heulen. Steine. Mumm las einige Seite und fand es immer erstaunlicher, daß Sumpfdrachen lange genug überlebten, um einen zweiten Sonnenaufgang zu beobachten. Selbst die Durchquerung eines Raums mußte als biologisches Wunder angesehen werden.
Von den mühsam gezeichneten Illustrationen wandte er hastig den Blick ab. Eingeweide waren nicht sein Geschmack.
Jemand klopfte an die Tür.
»Hallo?« rief Lady Käsedick fröhlich. »Bist du schon salonfähig?«
»Äh…«
»Ich habe dir etwas Nahrhaftes mitgebracht.«
Aus irgendeinem Grund stellte sich Mumm eine Suppe vor. Statt dessen bekam er einen großen Teller mit Schinken, Bratkartoffeln und Eiern. Er spürte, wie seine Arterien in Panik gerieten, als er die Mahlzeit betrachtete.
»Außerdem gibt es auch noch einen Brotauflauf«, sagte Lady Käsedick verlegen. »Normalerweise koche ich nicht zuviel, jedenfalls nicht für mich allein. Du weißt ja, wie das ist, wenn man nur für sich selbst sorgen muß.«
Mumm dachte an die Mahlzeiten in seiner Unterkunft. Rätselhafterweise war das Fleisch immer groß und hatte seltsame Löcher.
»Äh«, begann er, nicht daran gewöhnt, sich mit einer Frau zu unterhalten, in deren Bett er lag, »Korporal Nobbs hat mir berichtet…«
»Nobby ist wirklich ein farbiger kleiner Mann!« dröhnte Lady Käsedick.
Mumm war nicht sicher, ob er diesen Ausdruck verstand.
»Farbig?« wiederholte er.
»Ein Mann mit Charakter. Wir kommen bestens miteinander zurecht.«
»Tatsächlich?«
»O ja. Er kennt so viele Anekdoten.«
»Ja, das muß man ihm lassen.« Es wunderte Mumm immer wieder, warum Nobby der Umgang mit anderen Menschen so leichtfiel. Vielleicht lag es daran, daß er weder hohe Ansprüche stellte noch ihnen genügte.
Weitere Kostenlose Bücher