Wachen! Wachen!
Es war nicht weiter schwer, in Nobby ein Beispiel dafür zu sehen, daß es tatsächlich noch schlimmer kommen kann.
»Äh«, sagte Mumm und stellte überrascht fest, daß dieses unvertraute Thema sein Interesse weckte, »findest du seine Ausdrucksweise nicht ein wenig, äh, gepfeffert?«
»Eher gesalzen«, erwiderte Lady Käsedick großzügig. »Du hättest meinen Vater hören sollen, wenn er wütend war. Wie dem auch sei: Wir haben viel gemeinsam. Mein Großvater hat seinen Großvater einmal wegen boshaften Herumlungerns ausgepeitscht. Ein bemerkenswerter Zufall, nicht wahr?«
Bemerkenswert, ja,
dachte Mumm.
Dadurch gehören sie praktisch zur gleichen Familie.
Er zuckte zusammen, als neuerlicher Schmerz in ihm brannte.
»Du hast diverse blaue Flecken, Abschürfungen und die eine oder andere gebrochene Rippe davongetragen«, erklärte Ihre Ladyschaft. »Wenn du dich auf den Bauch rollst, behandle ich dich noch einmal hiermit.« Sie holte einen Behälter mit gelber Salbe hervor.
Die Panik hatte ständig auf der Lauer gelegen, und nun stürmte sie vor. Mumm zog sich das Laken bis zum Kinn hoch.
»Stell dich nicht so an!« tadelte Lady Käsedick. »Ich sehe nichts, das ich nicht schon gesehen hätte. Ein Hinterteil unterscheidet sich kaum vom anderen. An denen von Drachen sind Schwänze befestigt, das ist alles. Also los: auf den Bauch und hoch mit dem Nachthemd. Es stammt übrigens von meinem Großvater.«
Dieser Tonfall duldete keinen Widerspruch. Mumm überlegte, ob er Nobby rufen und bitten sollte, in die Rolle der Anstandsdame zu schlüpfen, entschied sich dann aber dagegen. Der Korporal hätte wahrscheinlich die ganze Zeit über vor sich hin gekichert.
Die Salbe brannte wie Eis.
»Was
ist
das?«
»Besteht aus vielen verschiedenen Substanzen. Dieses Mittel beschleunigt den Heilungsprozeß der Haut und sorgt dafür, daß neue gesunde Schuppen wachsen.«
»Wie bitte?«
»Oh. Nun, vermutlich keine Schuppen. Sei unbesorgt. Ich bin fast sicher. So, das wär’s auch schon. Alles fertig.« Lady Käsedick gab Mumm einen Klaps auf den Allerwertesten.
»Gnä Frau, ich bin Hauptmann der Nachtwache«, betonte Mumm und kam sich dabei wie ein Narr vor.
»Außerdem liegst du halbnackt im Bett einer Dame«, erwiderte Lady Käsedick ungerührt. »Setz dich auf und iß deinen Tee. Wir wollen doch, daß du gesund und stark wirst.«
Grauen irrlichterte in Mumms Augen.
»Warum?« fragte er.
Lady Käsedick griff in die Tasche ihrer fleckigen Jacke.
»Ich habe mir gestern abend Notizen gemacht«, sagte sie. »Über den Drachen.«
»Oh, der Drache.« Mumm entspannte sich ein wenig. Derzeit schien der Drache ein Thema zu sein, das weitaus mehr Sicherheit versprach.
»Außerdem sind mir verschiedene Dinge durch den Kopf gegangen. Es läuft auf folgendes hinaus: Das Tier ist sehr seltsam. Es sollte gar nicht imstande sein, den Boden zu verlassen und zu fliegen.«
»Da bin ich ganz deiner Meinung.«
»Wenn der Körperbau dem von Sumpfdrachen entspricht, müßte dieses Biest etwa zwanzig Tonnen wiegen. Zwanzig Tonnen! Und wenn man das Verhältnis von Gewicht und Schwingenbreite berücksichtigt… Unmöglich, sage ich.«
»Ich habe gesehen, wie der Drache einer Schwalbe gleich vom Turm fiel.«
»Ja, ich weiß«, entgegnete Lady Käsedick ernst. »Eigentlich hätte er dabei die Schwingen verlieren und ein großes Loch im Boden hinterlassen müssen. Die Aerodynamik versteht keinen Spaß. Man kann nicht einfach etwas Kleines groß werden lassen und hoffen, daß ansonsten alles beim alten bleibt. Es geht dabei um Muskelkraft und Flächen, die Auftrieb geben.«
»Ich
wußte,
daß irgend etwas nicht mit rechten Dingen zugeht.« Mumms Miene erhellte sich ein wenig. »Und dann die Flammen. Kein Geschöpf kann mit einer derartigen inneren Hitze überleben. Wie bringen Sumpfdrachen so etwas fertig?«
»Oh, reine Chemie!« Lady Käsedick winkte ab. »Sie destillieren brennbare Flüssigkeiten oder Gase aus der aufgenommenen Nahrung und entzünden sie, wenn sie die entsprechenden Verdauungskanäle verlassen. Eigentlich gibt es überhaupt kein Feuer in ihnen – es sei denn, es kommt zu einer Art Rückzündung.«
»Was passiert dann?«
»In einem solchen Fall muß man Drachenfetzen einsammeln«, sagte Lady Käsedick fröhlich. »Ich fürchte, bei den Drachen hat die Natur nicht sorgfältig genug geplant.«
Mumm hörte zu.
Die Schuppenwesen hatten in erster Linie deshalb überlebt, weil es Sümpfe meist nur in abgelegenen
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