Wachgeküßt
Jahr nicht gesehen hat.
»Wie geht’s dir, Kleines? Amerika scheint dir gut zu bekommen, du siehst phantastisch aus!«
»Wow! Du aber auch. Du siehst so fit aus. Gehst du zum Krafttraining?«
Für die Belange der anderen Gäste um uns herum umarmen sie sich viel zu überschwenglich und zu gefühlvoll, dann zieht Jem einen Stuhl herbei und setzt sich hin, um den Schiedsrichter zu spielen.
»Also, raus damit. Warum streitet ihr beiden euch schon wieder?«
»Wir streiten nicht, wir diskutieren.« Ich schenke meinem Bruder ein Glas gut gekühlten Weißwein ein und reiche ihm die Speisekarte.
»Ich dagegen bin der Meinung«, Erica lächelt mich schalkhaft an, »daß wir Streit haben. Alex glaubt, sie ist berechtigt, über mein Liebesleben zu bestimmen.«
»Ich fühle mich dazu verpflichtet, denn meine Schwester hat vor, mit einem totalen Idioten ins Bett zu gehen«, blaffe ich.
»Na und?« antwortet Jem und entfaltet seine Serviette. »Du hast fünf Jahre lang mit einem geschlafen. Man sollte meinen, das gibt Erica das Anrecht auf eine einzelne Nacht, oder?«
Er grinst uns beide an und freut sich über seinen Scharfsinn.
Wütend starre ich ihn an.
»Ich will nur nicht mit ansehen müssen, wie sie die gleichen Fehler macht wie ich, klar?«
»Entschuldige mal«, unterbricht Erica mich, »aber ich bin hier die große Schwester, und die Sache mit dem Vorbild und dem Ratgeber ist mein Part, verstanden? Außerdem sind die Fehler des einen der große Erfolg des anderen.«
»Im Kopf ist Larry sicher einer von den ganz Großen.«
Erica schüttelt ihre Serviette und den Kopf.
»Ich verstehe nicht, warum du so schlecht auf ihn zu sprechen bist, Alex.«
»Ich glaube, daß unsere Alex im Moment auf Männer im allgemeinen schlecht zu sprechen ist«, sagt Jem und drückt unter dem Tisch meine Hand. »Dieser Larry sollte das nicht persönlich nehmen.«
»Ich glaube, da liegst du falsch, Jeremy.« Erica zieht ihre perfekt gezupften Augenbrauen in die Höhe. »Lex ist gar nicht schlecht auf Männer zu sprechen, es sei denn, du meinst damit, sie spricht nicht mit ihnen, weil sie was anderes mit ihnen macht... Tatsache ist, daß sie selber nichts gegen ein bißchen Abwechslung hat.« Sie sieht mich wissend an. »Emma hat mir von Jake erzählt, Alex.«
Ich höre auf, an meiner Salzstange zu knabbern, und sehe meine Schwester verdrießlich an.
»Emma redet zuviel.«
»Ach ja?« Jem grinst uns beide an, er genießt das Wortgefecht in vollen Zügen. »Wer ist denn Jake?«
»Niemand«, murmele ich.
»Jake Daniels«, erwidert Erica. »Er ist Lex’ neuer Boß, und sie kennt ihn schon weitaus besser, als sie sollte – der Himmel weiß also, warum sie mir eine Moralpredigt hält, wenn die Möglichkeit besteht, daß ich ein bißchen Spaß mit Larry habe.«
»Möglichkeit? Möglichkeit! Ich würde mal sagen, das war weitaus mehr als nur die Möglichkeit, stimmt’s?«
»Und warum sollte das ein Problem für dich sein?«
»Jake Daniels?« unterbricht Jem.
»Weil Larry ein absoluter und vollkommener Arschkriecher ist, darum.«
»Jake Daniels?« wiederholt Jem.
»Ja«, antworte ich ihm schließlich und versuche gleichzeitig, Erica mit Blicken zu durchbohren.
»Ich dachte, daß er in Hongkong arbeitet?«
»Er ist gerade zurückgekommen... Kennst du ihn?«
»Klar kenne ich ihn. Schon seit Jahren. Wir waren zusammen
an der Uni. Na ja, das ist fast schon zuviel gesagt. Er war im letzten Jahr, als ich im ersten war. Er hatte eine Bude mit Michael Flanagan zusammen. Du weißt doch, Lewis’ älterer Bruder. Und mit Harry Lorde – du erinnerst dich doch an Harry, oder, Erica? Wir haben immer zusammen unsere Sauftouren gemacht. An einem Ende der King’s Road haben wir angefangen, uns bis nach unten durchgesoffen und dann das Ganze wieder in entgegengesetzte Richtung. Echt netter Kerl, witzig. Superabschluß, sogar mit eins, glaub’ ich. Wirtschaft, Politik und Publizistik, wenn ich mich recht erinnere. Hat erst für Channel Four gearbeitet, dann hat ihn die Verlagsgruppe, der Lexys Schuppen gehört, abgeworben. Er ist so eine Art Troubleshooter, und soweit ich verstanden habe, macht er ganz schön Karriere. Du könntest es sehr viel schlechter treffen, als dich mit einem Typen wie Jake Daniels einzulassen, Alex, das kann ich dir sagen.«
»Mich einlassen!« antworte ich verwirrt. »Aber Jem! Hast du mir nicht gesagt, ich soll ausgehen und mich amüsieren? Was erleben, hast du gesagt. Wild rumbumsen.«
»Moment mal«,
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