Wachgeküßt
Empfangsraum.
So etwa muß es sein, einen Raum an der Seite eines Stars zu betreten. Max glaubt, er hätte ein bekanntes Gesicht. Meiner Meinung nach übersteigt sein Bekanntheitsgrad nicht den der Requisiten, mit denen Emily Bishops Wohnzimmer dekoriert ist. Man denkt irgendwie, daß man es schon mal gesehen hat, aber außerhalb des Kontexts kann man sich ums Verrecken nicht erinnern, wo das war.
Der Saal ist groß. Tische über Tische mit weißem Leinen und poliertem Silber. Üppige Gestecke aus rosa Rosen, rosa und weißen Nelken – echten! -, Fliederspeer und Gipskraut füllen den Raum. Ich bin höchst erleichtert, als ich sehe, daß es mindestens drei Weingläser und eine Sektflöte pro Person gibt, doch dann fallen mir Emmas und Serenas strenge Anweisungen wieder ein,
mich nicht zu sehr vollaufen zu lassen, um mich nicht lächerlich zu machen.
Eine Tafel an der Tür zeigt die Sitzordnung. Als ich unsere Namen gefunden habe, kämpfe ich mich durch die schwatzende, plappernde, teuer gekleidete Menge und ziehe Guy hinter mir her. Die Tischnummern werden von den Blumengestecken in der Mitte verdeckt, und ich bin gezwungen, mehrere halbbesetzte Tische abzuklappern wie eine kurzsichtige Oma, bevor ich schließlich unseren finde. Ich hatte erwartet, daß das Treffen mit alten Freunden und Bekannten von Max wirklich furchtbar werden würde, aber wie es scheint, ist Guy meine Rettung. Statt mich anzugaffen, gaffen sie ihn an. Ich höre, wie mehrere Leute mutmaßen, daß er bestimmt ein berühmter Schauspielkollege von Max ist. Ein Mädchen beharrt sogar darauf, er wäre der Fußballer Ryan Giggs. Aber die Gläser ihrer Brille sind so dick, daß sie eine Goldmedaille für die doppelte Verglasung verdient hätten.
Ich bin an den Tisch mit den »unangenehmen Verwandten« plaziert worden. Das sind die Leute, mit denen man keine Verbindung mehr hat, die man aber pflichtgemäß einlädt, weil sie einem immer Karten zu Weihnachten und einen Geschenkgutschein zum Geburtstag schicken. Zu meiner Rechten sitzt Max’ Großonkel Avery, der bei familiären Anlässen extra aus einer teuren Privatklinik herbeigerollt wird, um dann geradewegs wieder zurückgerollt zu werden, bis die nächste Familienzusammenkunft ansteht. Er ist fast neunzig und geistig noch gut beieinander, findet aber, daß dieses Alter ihm erlaubt, sich absichtlich wie ein Tattergreis zu benehmen.
Jetzt sitzt er neben mir und furzt heimlich vor sich hin. Sein Gesicht ist dabei so ausdruckslos wie das eines Pokerspielers, der gerade einen Flush hat, aber das leichte Anheben seiner rechten Pobacke alle paar Minuten ist ein todsicheres Indiz dafür, wer für den Gestank verantwortlich ist.
Außerdem umgibt ihn der für alte Menschen typische Gestank
nach gekochtem Kohl und Urin. Nicht gerade appetitanregend, soviel ist sicher.
Ich wühle in meiner Tasche, hole meinen Parfümzerstäuber hervor und neble ihn heimlich mit meinem Coco Chanel ein. Daraufhin muß er so stark husten, daß ihm die dritten Zähne fast aus dem Mund schießen und in die Melonenbällchen mit Portwein fallen.
Links von Guy sitzt Max’ Cousine Marina, deren Existenz von der Familie verheimlicht wird, seit sie letztes Jahr als Hauptattraktion in einem holländischen Hardcore-Porno gesichtet wurde. Sie ist deutlich aufgelebt, seit wir uns an den Tisch gesellt haben, da sie zuvor die einzige unter dreißig war. Jetzt versucht sie, Guy mit ihrem üppigen Ausschnitt zu verschlucken, wie ein schwarzes Loch, das sich vorwärtsbewegt und droht, Captain Kirk und die gesamte Mannschaft der Enterprise zu umhüllen.
Max sieht ständig zu mir herüber. Das selbstgefällige, arrogante Grinsen hat ein Comeback gefeiert. Er wartet, bis unsere Blicke sich treffen, dann protzt er damit, Madeleines zerbrechliche, weiße Hand zu drücken oder mit der neuen Schwiegermutter zu schäkern. Als die üblichen Reden gehalten werden, übertrifft er sich selbst, indem er lang und breit darüber schwafelt, daß Madeleine aus ihm den glücklichsten Mann auf der ganzen Welt gemacht hat, daß er nie geglaubt hätte, eine solche Liebe zu erleben und bla bla bla – er trägt wirklich meterdick auf. Was um Himmels willen wollte ich bloß mit meinem Kommen beweisen? Daß ich eine lächerliche, alte Idiotin bin, die bereitwillig die Hiebe einsteckt, die Max austeilt?
Man braucht mich nur anzusehen. Ich bin so erbarmungswürdig, ich habe noch nicht mal ein eigenes, echtes Liebesleben, so daß ich irgendeinen dümmlichen,
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